Viagra bald ohne Rezept? Freigabe hätte Vor- und Nachteile Von Christoph Driessen, dpa

Bisher gibt es die babyblauen Rautentabletten und ähnliche Präparate
nur auf Rezept. Künftig kann man Viagra und andere Potenzmittel
vielleicht einfach so in der Apotheke bekommen. Das hätte Vorteile -
wäre aber auch mit großen Risiken verbunden.

Bonn (dpa) - «Einmal Nasentropfen, eine Flasche Hustensaft und noch
eine Packung Viagra.» Derartige Bestellungen könnten in Apotheken
vielleicht schon bald Alltag sein: Am 25. Januar berät ein
Expertengremium der Arzneimittelbehörde BfArM in Bonn über die
Entlassung des Wirkstoffs Sildenafil aus der Verschreibungspflicht.
Sollte die Empfehlung so kommen und sich das
Bundesgesundheitsministerium daran halten, würden Viagra und andere
Potenzmittel rezeptfrei werden. Eine gute Idee?

Prof. Frank Sommer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mann und
Gesundheit, sieht Vor- und Nachteile. Das größte Pro wäre in seinen
Augen, dass dem Schwarzmarkt im Internet der Boden entzogen würde.
«Wir haben vor einigen Jahren eine Studie gemacht, da haben wir 22
Produkte, die man im Internet frei bestellen kann, untersucht und
festgestellt, dass bei über 80 Prozent nicht das drin war, was
angegeben war. Wir hatten zum Beispiel eine Gruppe, da war die Dosis
viermal so hoch.» Wenn man das regelmäßig einnehme, habe man ein sehr

hohes Risiko für Herzschädigungen. Zudem stellten die Wissenschaftler
Verunreinigungen etwa mit Schwermetallen fest.

Vom Schwarzmarkt mit gefälschten Markenprodukten zu unterscheiden
sind Online-Angebote von Ärzten, bei denen der Interessent zunächst
einen medizinischen Fragebogen ausfüllt und dann gegebenenfalls
Viagra oder ein anderes Mittel verschrieben und aus dem Ausland
zugeschickt bekommt. Dabei kann man laut Sommer im Regelfall
zumindest davon ausgehen, dass man das Originalprodukt erhält. Der
Preis ist allerdings nicht ohne: Vier der babyblauen
Viagra-Rautentabletten können ungefähr 60 Euro kosten.

Sommer, der 2005 als erster Arzt zum Professor für Männergesundheit
berufen wurde, sieht auch einige Nachteile, falls Sildenafil künftig
rezeptfrei sein sollte. «Eine Erektionsstörung ist, wenn sie
gefäßbedingt ist, Vorbote eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls. Wir
erkennen das bei der Untersuchung der Blutgefäße ungefähr acht Jahre

vorher. Und da hat man dann eben noch Zeit, entsprechend
gegenzusteuern. Kommt es aber erst gar nicht zum Arztbesuch, fällt
das weg.»

Werde die Grunderkrankung nicht behandelt, verschlimmere sich die
Erektionsschwäche immer weiter. «Da können Nerven geschädigt sein,

die Infrastruktur des Penis, die Blutgefäße, die zum Penis führen -
es gibt viele Ursachen, und deshalb dauert es auch bis zu drei
Stunden, das herauszufinden. Wenn das aber nicht geschieht,
verschlimmert sich das Leiden immer weiter. Und man braucht deshalb
eine immer höhere Dosis, um doch noch eine Erektion zu erreichen. Bis
irgendwann auch die höchste nicht mehr reicht. Wenn man aber dann
erst zum Arzt geht, ist es für eine Heilung oft zu spät.»

Ein weiteres Risiko: Der Patient hat möglicherweise keinen Überblick
darüber, welche Medikamente mit Sildenafil nicht verträglich sind.
«Es gibt Herzmedikamente, die Nitrate haben.» Wenn diese gemeinsam
mit Sildenafil eingenommen würden, könne ein zum Tod führender
sogenannter hypotoner Schock die Folge sein.

Die Entscheidung über die Entlassung aus der Rezeptpflicht stellt
also eine schwierige Abwägung dar. «Ich würde dazu raten, sich beide

Seiten anzuhören», sagt Sommer. «Die Pharmaseite, die die Freigabe
befürwortet, aber eben auch die unabhängigen Wissenschaftler.»

Insgesamt sei die Entdeckung von Sildenafil als Potenzmittel durch
den US-Konzern Pfizer «ein Geschenk des Himmels» gewesen, sagt
Sommer. Zum einen deshalb, weil das Thema Erektionsschwäche infolge
der umfangreichen Berichterstattung in den Medien aus der Tabuzone
herausgekommen sei. Und zum zweiten, weil dies eine Serie von
wissenschaftlichen Untersuchungen zur Folge gehabt habe.

«Da hat sich dann eben erst gezeigt, dass der Zustand der Penisgefäße

einen Herzinfarkt voraussagen kann. Auch Zuckererkrankungen werden
seitdem viel früher diagnostiziert.» Noch in den 80er Jahren
herrschte dagegen die Ansicht vor, dass 90 Prozent der
Erektionsstörungen psychisch bedingt seien. «Heute ist Stand der
Wissenschaft, dass es genau umgekehrt ist: 80 bis 90 Prozent haben
körperliche Ursachen, und dann kommt die Versagensangst vielleicht
noch oben drauf.»