Produktion von Corona-Arzneien in Deutschland nimmt Fahrt auf Von Alexander Sturm und Jan Petermann, dpa

In der Omikron-Welle wird es weiter vor allem auf Impfstoffe
ankommen. Mit der Zulassung von immer mehr Medikamenten für
Covid-Patienten gibt es aber zusätzliche Mittel gegen die Pandemie.
Davon profitiert auch der Pharmastandort Deutschland.

Frankfurt/München/Hannover (dpa) - Bei Corona-Impfstoffen hat die
deutsche Pharmaindustrie einen Coup gelandet. Der Erfolg des Mainzer
Herstellers Biontech brachte der Branche internationales Renommee und
milliardenschwere Geschäfte - mit der Aussicht auf erneut kräftig
steigende Umsätze 2022. Nun werden Corona-Medikamente für infizierte
Patienten zur nächsten Chance. Zwar liegen im Fall der Therapeutika
Konzerne aus der Schweiz, Großbritannien und den USA vorn. Doch bei
Produktion und Verteilung spielen auch deutsche Standorte eine Rolle.

Der US-Konzern und Biontech-Partner Pfizer stellt sein Medikament
Paxlovid gegen schwere Covid-Verläufe hauptsächlich in Freiburg her.
Nach Erhalt und Genehmigung des Wirkstoffs startet der Prozess zum
Mischen, Granulieren, Pressen und Beschichten der Tabletten, sagt
eine Sprecherin. «Ein Team von Qualitätsexperten stellt sicher, dass
die höchsten Standards eingehalten werden.» Zudem werde in Freiburg,
wo 1700 Menschen für Pfizer arbeiten, mit der Verpackung begonnen.

Der Pharmariese geht davon aus, in diesem Jahr weltweit mindestens
120 Millionen Einheiten fertigzustellen - davon rund 30 Millionen in
der ersten Jahreshälfte. «Wir sind dabei, zusätzliche Kapazitäten z
u
schaffen und die Produktion weiter hochzufahren», kündigte Pfizer an.

Die Bundesregierung hat bereits eine Million Packungen von Paxlovid
bestellt. Mit ersten Lieferungen rechnet Gesundheitsminister Karl
Lauterbach (SPD) noch im Januar. Das Mittel eigne sich insbesondere
für die Behandlung ungeimpfter Risikopatienten, heißt es. Die
US-Arzneimittelbehörde FDA hat schon eine Notfallzulassung für das
Medikament ausgesprochen, in der EU läuft die Prüfung noch.

Eine weitere Arznei ist Roactemra vom Schweizer Konzern Roche. Sie
wird gegen eine überschießende körpereigene Immunabwehr bei stark
fortgeschrittenen Corona-Erkrankungen verabreicht. Das in der EU
zugelassene Mittel wird unter anderem in Mannheim verpackt und
abgefüllt. Dort und am bayerischen Standort Penzberg arbeiten mehr
als 1000 Beschäftigte in der Sterilabfüllung für den globalen Markt.


Gegen Corona-Erkrankungen im frühen Stadium lassen sich außerdem
Antikörper einsetzen - dazu forschen auch Universitäten, zum Beispiel
die Medizinische Hochschule Hannover. Roche bietet etwa das Präparat
Ronapreve mit den Antikörpern Casirvimab und Imedvimab an. Diese
werden in den USA produziert, im südbadischen Grenzach ist die
Qualitätssicherung und Freigabe der Chargen für Europa angesiedelt.

Medikamente gelten als Säule der Corona-Bekämpfung. Sie sind aber im
Vergleich zu Impfungen teurer und in der Anwendung oft komplizierter.
«Der große Gamechanger sind sicherlich die Impfstoffe, nicht die
Therapeutika», sagt der Münchner Infektiologe Christoph Spinner.
Therapeutika seien jedoch eine wichtige Ergänzung für «Menschen, die

beispielsweise wegen einer chronischen Erkrankung nicht geimpft
werden und damit keinen vergleichbaren Immunschutz aufbauen können».

Bei der Behandlung von Covid-Patienten kommt auch das Medikament
Dexamethason zum Einsatz, das der Pharmakonzern Merck unter dem Namen
Fortecortin vermarktet. Das patentfreie Mittel - schon seit langem in
mehreren Anwendungsgebieten zugelassen - hilft bei der Sauerstoffgabe
oder künstlichen Beatmung Corona-Kranker. In Darmstadt stellt Merck
aus dem aktiven Wirkstoff alle flüssigen, injizierbaren Formen her.
Das Dax-Unternehmen habe Zulassungen bei Covid-19-Indikation unter
anderem für Deutschland, Österreich, die Schweiz und Tschechien, sagt
ein Sprecher. «Weitere Aktivitäten für Nicht-EU-Länder laufen.»

Auch deutsche Firmen forschen an Corona-Arzneien. Laut dem Verband
Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) sind 37 Präparate in der
Entwicklung. Zugelassen ist aber noch keines. «Die Produktion von
Corona-Impfstoffen ist in Deutschland in kurzer Zeit gewachsen und
hat die Bedeutung des Pharmastandorts gesteigert», so Rolf Hömke vom
vfa. Getrieben von der Impfstoffnachfrage soll der Umsatz der Branche
Schätzungen zufolge dieses Jahr um 8 Prozent zulegen. Deutschland sei
stark in komplexen Produktionsprozessen. «Bei Corona-Therapeutika ist
die Chance ebenfalls da, dass die Produktion ausgeweitet wird.»

In den USA gibt es für den Wirkstoff Molnupiravir des Unternehmens
Merck & Co., das hierzulande als MSD auftritt und in Burgwedel bei
Hannover auch einen Ebola-Impfstoff herstellt, eine Notfallzulassung.
Bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA liegt ein Antrag vor.

Die Produktion ist in Amerika, in den Niederlanden wird die Substanz
dann für den deutschen Markt konfektioniert. «Ende November hat die
EMA eine wissenschaftlich begründete Empfehlung zur Nutzung von
Molnupiravir in der Behandlung von Covid-19-Patienten ausgesprochen»,
sagt Klaus Schlüter, medizinischer Direktor bei MSD. «Auch wenn der
offizielle Zulassungsprozess noch läuft, darf das Mittel nach Prüfung
durch die jeweiligen Behörden in den EU-Staaten angewendet werden.»

Mit dem Bundesgesundheitsministerium habe man für Dezember und Januar
ein erstes Kontingent von 80 000 Einheiten vereinbart. «Die Ware wird
über elf Anlaufstellen im Pharmagroßhandel vertrieben und kann von
Apotheken für Patienten bestellt werden, wenn eine Indikation durch
ärztliche Verschreibung vorliegt», so Schlüter. Es liefen Gespräche
,
um weitere Mengen auch für Deutschland zur Verfügung zu stellen.