Omikron-Welle rollt - Intensivstationen noch nicht betroffen

Die Corona-Zahlen steigen rasant. Experten befürchten, dass sich das
bald auch in Krankenhäusern zeigt. Trotzdem deutet sich eine neue
Phase der Pandemie an.

Berlin (dpa) - Die Virusvariante Omikron treibt die Corona-Zahlen
weiter steil nach oben - aus Sicht von Experten könnte sie aber der
Anfang vom Ende der Pandemie in Deutschland sein. Am Samstagmorgen
erreichte die Sieben-Tage-Inzidenz mit 497,1 nach Angaben des Robert
Koch-Instituts (RKI) erneut einen Höchstwert. Die Gesundheitsämter
meldeten dem RKI binnen eines Tages 78 022 neue Infektionen.
Notfallmediziner rechnen damit, dass sich das auch bald in den
Krankenhäusern niederschlägt. Zugleich macht der von der
Bundesregierung berufene Corona-Experte Lars Kaderali allerdings
Hoffnung.

«Ich würde das tatsächlich so sehen, dass Omikron die Tür sein
könnte», sagte der Greifswalder Bioinformatiker der Deutschen
Presse-Agentur. Einen lockereren Umgang mit dem Coronavirus, wie er
in Spanien erwogen wird, hält er hierzulande zwar nicht für ratsam.
Spanien habe eine deutlich höhere Impfquote und eine deutlich höhere
Zahl an durchgemachten Infektionen als Deutschland. Dennoch könne das
Virus für den kommenden Herbst an Schrecken verlieren.

Omikron ist nach Erkenntnissen des RKI auch hierzulande inzwischen
vorherrschend. Erwartet wird laut Gernot Marx von der
Fachgesellschaft der Intensiv- und Notfallmediziner, dass gegenüber
der Delta-Variante, bei der etwa 0,8 Prozent der Infizierten
intensivmedizinisch versorgt werden mussten, deutlich weniger positiv
Getestete einen so schweren Verlauf nehmen. Zuletzt sank die Zahl der
auf Intensivstationen behandelten Corona-Infizierten erstmals seit
Mitte November wieder knapp unter die 3000er-Marke.

Trotzdem gilt es den Experten zufolge eine Überlastung in den
Krankenhäusern zu vermeiden. Noch sei die Omikron-Welle auf den
Intensivstationen nicht angekommen, sagte Intensivmediziner Christian
Karagiannidis am Samstag im Deutschlandfunk. Er rechne aber damit,
dass es in der nächsten oder übernächsten Woche deutlich mehr
Corona-Patienten in den Notaufnahmen gebe werde. Der Experte leitet
das Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für
Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) und ist Mitglied des
Corona-Expertenrats der Bundesregierung.

Das RKI gab die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten
je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen am Freitag mit 3,23
an. Sie ist damit erstmals seit einigen Tagen wieder gestiegen. Am
Wochenende wird die Kennziffer nicht veröffentlicht.

Derzeit infizierten sich noch hauptsächlich jüngere Menschen im Alter
bis 35 Jahre, die seltener schwere Verkäufe hätten, sagte
Karagiannidis. Zugleich sehe man aber vermehrt bereits Infektionen in
der kritischen Infrastruktur. Krankenhäuser müssten sich darauf
vorbereiten, dass Ärzte und Pflegekräfte ausfielen.

Nach Ansicht von RKI-Präsident Lothar Wieler tritt Deutschland mit
der Ausbreitung der hochansteckenden Variante und den stark
steigenden Infektionszahlen in eine «neue Phase der Pandemie» ein.
«Die reinen Fallzahlen werden weniger entscheidend sein. Wichtiger
ist, wie viele Menschen schwer an Covid-19 erkranken und wie stark
das Gesundheitssystem dann belastet sein wird», hatte Wieler am
Freitag gesagt. Zuletzt wurden binnen 24 Stunden 235 Todesfälle
verzeichnet.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder mahnte im «Münchner Merkur
»
zielgenaue Maßnahmen an. Bisher berichteten Experten über eine
geringere Anzahl Patienten in den Krankenhäusern und mildere
Verläufe. «Omikron ist nicht Delta. Das heißt: Wir müssen genau
justieren, welche Regeln zwingend nötig, aber auch verhältnismäßig

sind.» Es werde nicht mehr ausreichen, die Lage nur medizinisch und
virologisch zu betrachten. «Wir müssen auch auf die gesellschaftliche
und soziale Komponente stärker achten.» Der CSU-Chef hat sich bislang
als Verfechter besonders strenger Corona-Maßnahmen positioniert.

Karagiannidis warnte vor zu frühen Lockerungen. «Wenn wir das ganze
Infektionsgeschehen jetzt extrem laufen lassen und ganz hohe
Inzidenzen akzeptieren, dann akzeptieren wir auch, dass das Virus
ganz sicher die Ungeimpften findet», betonte er. Bereits jetzt seien
62 Prozent der Corona-Patienten auf den Intensivstationen ungeimpft,
nur 5 Prozent hätten eine Auffrischungsimpfung.

Der Münchner Experte Clemens Wendtner mahnte zur zügigen Vorbereitung
einer vierten Corona-Impfung. «Für mich wäre eine Viertimpfung vier
bis sechs Monate nach der dritten Impfung eine adäquate Maßnahme»,
sagte der Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing
der Deutschen Presse-Agentur. Er verwies zugleich jedoch darauf, dass
es aufgrund mangelnder Daten noch keine Empfehlung der Ständigen
Impfkommission (Stiko) zur Viertimpfung gibt.

Die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht schwelt unter diesen
Voraussetzungen weiter. Der designierte Generalsekretär der FDP,
Bijan Djir-Sarai, kritisierte das Verhalten der Union. Anstatt sich
mit eigenen Vorschlägen sachlich einzubringen, schlachte sie das
Thema parteipolitisch aus, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Dass die Union erst einen Antrag ankündige, diese Ankündigung dann
wieder zurücknehme und auf einen Regierungsentwurf dränge, sei dem
Ernst der Lage nicht angemessen.

Die Durchsetzung der umstrittenen Impfpflicht wäre aus Sicht von
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer kein Problem. «Jede Kommune

in Deutschland ist über ihre Bußgeldstelle und Einwohnermelderegister
in der Lage das umzusetzen», sagte der Grünen-Politiker der Deutschen
Presse-Agentur. Das gehe innerhalb weniger Wochen - auch ohne
Impfregister. Die Kommunen könnten etwa alle Bürger über 18 Jahren
anschreiben und sie auffordern, innerhalb von vier Wochen einen
Nachweis zumindest für ihre Erstimpfung schriftlich vorzulegen. Falls
sie dem nicht nachkämen, könne ein Strafgeld angedroht werden. Palmer
bot an, das in Tübingen zu erproben.