Palmer hält Durchsetzung der Impfpflicht für unproblematisch Von Henning Otte, dpa

Kommt die Impfpflicht gegen Corona nun bald, oder kommt sie nicht?
Gegner zweifeln daran, dass die Kommunen eine solche Maßnahme
durchsetzen können. Ein bekannter grüner OB hält das für vorgeschob
en
und wischt Bedenken der Datenschützer vom Tisch.

Tübingen/Stuttgart (dpa/lsw) - Tübingens Oberbürgermeister Boris
Palmer hält die Durchsetzung einer allgemeinen Impfpflicht gegen das
Coronavirus in den Kommunen für eine Leichtigkeit. «Es gibt kein
Umsetzungsproblem. Jede Kommune in Deutschland ist über ihre
Bußgeldstelle und Einwohnermelderegister in der Lage das umzusetzen»,
sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Das gehe
innerhalb weniger Wochen - auch ohne Impfregister. Wenn Impfgegner
oder Datenschützer behaupteten, es sei schwierig, eine solche Pflicht
umzusetzen, sei das falsch. «Die Umstandskrämerei ist ein reiner
Vorwand», sagte Palmer. «Wer etwas nicht will, sucht Probleme. Wer
etwas will, sucht Lösungen.»

Städtetag und Datenschützer: So einfach geht es nicht

Doch der Städtetag und der oberste Datenschützer in Baden-Württemberg

widersprachen Palmers Einschätzung. Der Kommunalverband hält wegen
der sensiblen Gesundheitsdaten ein Impfregister für nötig. Ein
solches einzurichten, brauche Zeit, sagte eine Sprecherin der dpa.
Der Datenschutzbeauftragte Stefan Brink hielt dem Tübinger OB vor, er
schlage «eine Vollkontrolle der Bevölkerung im Rahmen von
Bußgeldverfahren vor». Brink sagte der dpa: «So einfach, wie Herr
Palmer sich das vorstellt, geht es also nicht.»

Palmer schlägt Verfahren wie bei Strafzettel vor

Der Vorschlag des Tübinger OB sieht so aus: Sollte der Bundestag die
Impfpflicht samt einem Bußgeld von etwa 5000 Euro beschließen,
könnten die Kommunen einen Auszug aus den elektronisch geführten
Einwohnermeldedateien erstellen und alle Bürger über 18 Jahren
anschreiben. So etwas ähnliches habe er erst im November veranlasst,
es habe eine Woche gedauert, sagte Palmer.

In dem Schreiben würden die Bürgerinnen und Bürger aufgefordert,
innerhalb von vier Wochen zumindest einen Nachweis für ihre
Erstimpfung schriftlich vorzulegen. Falls sie dem nicht nachkämen,
schicke die Bußgeldstelle einen Anhörungsbogen mit der Drohung eines
Strafgeldes von bis zu 5000 Euro. Auch für die Bußgeldstelle seien
die zusätzlichen Verfahren kein Problem.

OB bringt Tübingen als Modellkommune ins Gespräch

Palmer bot an, das in Tübingen zu erproben. «Wir machen das auch als
Modellkommune.» Doch erstmal muss die allgemeine Impfpflicht im
Bundestag überhaupt beschlossen werden. Alle Ministerpräsidenten und
Kanzler Olaf Scholz haben sich für eine Einführung ausgesprochen. Im
Bundestag soll über diese heikle Frage ohne Fraktionszwang abgestimmt
werden. Erwartet wird, dass sich Parlamentarier über Parteigrenzen
hinweg zusammentun und entsprechende sogenannte Gruppenanträge
vorlegen, über die dann abgestimmt wird.

Die Sprecherin des Städtetags sagte: «Der besondere Schutz von
Gesundheitsdaten ist im Datenschutzrecht angelegt.» Das bedeute aber
nicht, dass ein Impfregister nicht möglich sei. «Allerdings müssen
besondere Anforderungen bei der Datenerhebung und Datenverarbeitung
berücksichtigt werden. Das braucht Zeit.»

Datenschützer: Vorgehen käme einer «Rasterfahndung» nahe

Datenschützer Brink sagte, positiv an Palmers Vorschlag sei, dass auf
den Aufbau eines Impfregisters verzichtet werden könnte. «Auch
müssten die Daten der Melderegister nicht an den Bund transferiert
und dort zusammengeführt werden.» Doch das Vorgehen über
Einwohnermelderegister und Bußgeldstelle sei rechtlich nicht gedeckt.
«Ohne konkreten Verdacht, dass ein Bürger gegen die Impfpflicht
verstoßen hat, wird ein amtliches Verfahren durchgeführt, in dem er
den Vorwurf des Rechtsverstoßes widerlegen muss. Das widerspricht der
Unschuldsvermutung und kommt einer Rasterfahndung nahe, die nur im
Ausnahmefall zur Aufklärung schwerster Straftaten zulässig ist.»

Brink erläuterte: «Wenn eine solche Vollkontrolle durchgeführt werden

soll, braucht es dafür jedenfalls eine eigene, klare und bestimmte
gesetzliche Grundlage, auch weil die Meldedaten dann zu einem neuen,
bislang nicht normierten Zweck - nämlich zur Ermittlung von Verstößen

gegen die Impfpflicht - verarbeitet würden. Wenn eine solche
Rechtsgrundlage geschaffen wird, sind datenschutzrechtliche
Prinzipien zu beachten.»

Stuttgart wartet lieber

Die Stadt Stuttgart will denn auch lieber abwarten. «Mit der
Umsetzung beschäftigen wir uns, wenn es einen Beschluss gibt und die
Ausführungen bekannt sind. Bis dahin konzentrieren wir unsere Kraft
und Ideen auf die Frage, wie wir weiterhin Menschen erreichen können,
die sich noch nicht ihre Impfungen geholt haben und noch zu
überzeugen sind», sagte ein Sprecher.