Oberammergauer Spielleiter: «Jesus muss wieder lauter werden»

Neuer Anlauf für die Passionsspiele in Oberammergau: Nach
zweijährigem Corona-Aufschub bereitet sich der Ort erneut auf die
Premiere vor. Spielleiter Stückl schreibt derzeit am Text und gibt
den Rollen letzten Schliff.

Oberammergau (dpa/lby) - Der Oberammergauer Spielleiter Christian
Stückl will den Passionsspielen im Mai einen energischen Jesus auf
die Bühne bringen. «Ich denke, Jesus muss wieder lauter werden»,
sagte Stückl. «Weil in der Welt verändert sich nichts.»

Vor gut einer Woche, am Dreikönigstag, hatte Stückl mit den
Textproben begonnen. Er hatte das Laienspiel von dem Leiden, dem
Sterben und der Auferstehung Jesu im Frühjahr 2020 wegen der Pandemie
auf dieses Jahr verschoben. Die Premiere ist für den 14. Mai geplant.

Für Stückl sind Armut, Krankheit, Diskriminierung, Rassismus, Flucht
und Vertreibung zentrale Themen der Gesellschaft; Jesus gehe es um
die Schwachen und Benachteiligten. «Das verändert sich auch durch
Corona nicht», sagt Stückl, der die Passion seit 1990 und damit zum
vierten Mal inszeniert. «Als ich jung war, wollte ich einen lauten
Jesus, einen aufmüpfigen Jesus.» Dann habe er ruhigere Töne gesucht.

«Jetzt denke ich, dass er wieder schreien muss, er muss wieder lauter
werden.»

Die Pandemie werde in der Inszenierung keine Rolle spielen, sagt er.
«Mich nervt Corona so sehr, das muss jetzt nicht noch ins Theater
Eingang finden.» Konkrete aktuelle Themen hatte Stückl auch früher
herausgehalten.

Der Spielleiter hat das Stück seit 1990 grundlegend reformiert und
von antisemitischen Passagen befreit; hierfür wurde er mehrfach
ausgezeichnet. Über das Erstarken des Antisemitismus in der
Corona-Pandemie äußerte sich Stückl schockiert. Unerklärlich sei ih
m,
warum gerade in diesem Umfeld Judenhass wieder derart wachsen könne.

Die Passionsspiele gehen auf ein Pest-Gelübde von 1633 zurück. Damals
gelobten die Oberammergauer, alle zehn Jahre die Passion aufzuführen,
um die grassierende Seuche abzuwenden. Der Legende nach starb danach
niemand im Dorf mehr an der Pest.