Premier als Chamäleon: Johnson will trotz «Partygate» angreifen Von Benedikt von Imhoff, dpa

Feiern, als die Queen trauerte: Zwei Lockdown-Partys in der Downing
Street am Vorabend der Beisetzung von Prinz Philip erhöhen den Druck
auf Boris Johnson. Auch in der eigenen Partei wächst der Widerstand.
Doch der britische Premier will kämpfen.

London (dpa) - Angriff statt Verteidigung: Mit einem umfassenden
Neustart will der britische Premierminister Boris Johnson die
«Partygate»-Affäre vergessen machen und seine Partei wieder hinter
sich sammeln. Wie die Zeitung «Financial Times» am Freitag schrieb,
plant der seit zweieinhalb Jahren amtierende Regierungschef,
Forderungen der Konservativen Partei zu erfüllen - Kampf der
«Saufkultur», neues Personal in der Downing Street und ein Ende der
Corona-Regeln. Allerdings wurde der 57-Jährige die
Negativ-Schlagzeilen auch am Freitag nicht los.

Fünf Tory-Abgeordnete fordern bisher offen seinen Rücktritt.
Tatsächlich wollten jedoch bereits 30 konservative Parlamentarier
Johnson loswerden, berichtete der «Telegraph». Der neueste Bericht
über Lockdown-Partys im Regierungssitz am Vorabend der Beerdigung von
Queen-Gemahl Prinz Philip im April 2021 dürfte die Wut auf den
Premier weiter anheizen - auch wenn sich Downing Street beim
Buckingham-Palast hochoffiziell entschuldigte. «Es ist zutiefst
bedauerlich, dass dies zur Zeit nationaler Trauer stattgefunden hat»,
so ein Johnson-Sprecher.

Die «Times» zitierte jedoch auch einen namentlich nicht genannten
Vertrauten des Premierministers mit den Worten: «Er wird nicht
zurücktreten, er ist ein Kämpfer. Er ist eine Naturgewalt. Wenn es
jemanden gibt, der das durchstehen kann, ist er es.» Tatsächlich
stand Johnson seit der Amtsübernahme schon verschiedenfach in der
Kritik, ohne dass die große Konsequenzen hatte. Allerdings droht der
Skandal um mehrere Lockdown-Partys zu verschiedenen Zeiten der
Pandemie zunehmend, die Tories selbst zu beschädigen.

Mehrere Ortsverbände sollen auf eine Ablösung drängen. In Umfragen
hat die oppositionelle Labour-Partei mit zehn Punkten einen so hohen
Vorsprung wie seit knapp zehn Jahren nicht mehr. Der Skandal sorgt
zudem für einen parteiinternen Riss: Nachdem der Chef der
schottischen Konservativen, Douglas Ross, Johnsons Rücktritt
gefordert hatte, beleidigte ihn das einflussreiche Kabinettsmitglied
Jacob Rees-Mogg als «Leichtgewicht».

Johnson setzt nun vor allem darauf, dass seine lockere Corona-Politik
sich einmal mehr als erfolgreich beweist, wie die «FT» schrieb. Seine
Entscheidung, trotz der Ausbreitung der Omikron-Variante nur wenige
Maßnahmen wiedereinzuführen, habe sich ausgezahlt, sagte ein
Tory-Stratege dem Blatt. Dasselbe könne wieder passieren, wenn die
noch geltenden Maßnahmen auslaufen. Erstes Ziel Johnsons dürften die
Regional- und Bezirkswahlen im Mai sein. Aber: «Falls wir deutlich
verlieren, ist er weg», sagte ein Tory-Abgeordneter der «FT».

Doch erst einmal muss Johnson die Berichte über die Feiern am
Vorabend von Philips Beisetzung überstehen. Damals galten strenge
Kontakt- und Abstandsregeln wegen der Corona-Pandemie. Queen
Elizabeth II. musste deshalb ganz alleine in der Kapelle ihrer
Residenz Windsor sitzen, als der Mann, mit dem sie 73 Jahre
verheiratet war, bestattet wurde. Das Foto der einsamen Queen war
eines der prägenden Bilder der Pandemie.

Umso größer ist nun die Empörung. «Während sie trauerte, feierte
No.
10», twitterte der Chef der Liberaldemokraten, Ed Davey. Auch wenn
Johnson selbst nicht an den Partys am 16. April 2021 teilnahm und
auch nicht in der Downing Street anwesend war, wird er für das
Verhalten seiner Mitarbeiter verantwortlich gemacht. «Ich habe keine
Worte für die Kultur und das Verhalten in No. 10», twitterte
Labour-Vizechefin Angela Rayner. Der Fisch stinke vom Kopf.

Der «Telegraph»-Bericht über die Feiern in der Downing Street -
Verabschiedungen von zwei Mitarbeitern - liest sich wie aus einer
anderen Welt. Etwa 30 Menschen tanzten und tranken. Mit einem
Rollkoffer holten Teilnehmer neuen Alkohol aus einem nahen
Supermarkt. Eine Beraterin des Premiers soll sich als DJ betätigt
haben, ein Teilnehmer habe die Schaukel von Johnsons Sohn zerbrochen.
Ex-Kommunikationschef James Slack entschuldigte sich am Freitag für
die «Wut und den Schmerz», den er mit der Feier verursacht habe.

Erst am Montag war bekanntgeworden, dass Johnsons Büroleiter am 20.
Mai 2020 in einer E-Mail an etwa 100 Mitarbeiter zu einer Gartenparty
geladen hatte. Darin hieß es: «Bringt Euren eigenen Alkohol mit.»
Johnson entschuldigte sich daraufhin im Parlament für den Eindruck,
dass diejenigen, die die Corona-Regeln machen, sich nicht daran
halten. Er räumte ein, dass er für 25 Minuten im Garten anwesend war.
Seinem Eindruck zufolge habe es sich um ein Arbeitstreffen gehandelt.
Rückblickend habe er damit falsch gelegen, sagte Johnson.

Doch anstatt wie von Labour gefordert endlich klar Schiff zu machen,
versteckt sich der Premier bisher hinter einer laufenden internen
Untersuchung. Das Ergebnis dieser Ermittlungen solle abgewartet
werden, betonte Johnson. Längst gilt der Premier als politisches
Chamäleon, das alle Krisen meistert. «Gelegentlich stolpern die
Menschen über eine Wahrheit, aber sie richten sich auf und gehen
weiter, als sei nichts geschehen», wusste bereits sein Vorbild
Winston Churchill. Doch mittlerweile sind viele Briten der Ansicht,
Johnson stolpere bereits über zu viele Wahrheiten dahin.