Booster-Impfungen sollen weiter zulegen - Stiko: Auch für Jugendliche

Im Kampf gegen hochschnellende Infektionszahlen werben Politik und
Experten für mehr Impfungen - und zwar rasch und nicht erst mit einer
umstrittenen Pflicht. Eine wichtige Empfehlung könnte den
Empfängerkreis jetzt vergrößern.

Berlin (dpa) - Angesichts der immer stärkeren Ausbreitung der neuen
Corona-Variante Omikron in Deutschland sollen Auffrischimpfungen auf
noch breiterer Front vorankommen. Bundesgesundheitsminister Karl
Lauterbach (SPD) versicherte am Donnerstag, für jeden, der dies jetzt
wolle, stehe der Impfstoff zur Verfügung. «Durch diese Kampagne kann
es gelingen, aus der Wand der Omikron-Welle einen steilen Hügel zu
machen oder zumindest die Höhe der Wand zu begrenzen.» Die Ständige
Impfkommission (Stiko) spricht sich nun generell für
Auffrischimpfungen (Booster) auch für Kinder von 12 bis 17 Jahren
aus.

Die Zahl der an einem Tag gemeldeten Neuinfektionen überschritt nun
zum zweiten Mal in Folge die Marke von 80 000. Bundesweit meldeten
die Gesundheitsämter 81 417 neue Fälle, wie das Robert Koch-Institut
(RKI) bekanntgab. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 427,7 nach 407,5
am Vortag. Die höchste Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner in sieben Tagen haben laut RKI nun Bremen mit mehr als 1300
und Berlin mit 919. Wenn Infektionszahlen abrupt steigen, zeigen die
Grafikkurven häufig wie eine Art Wand steil nach oben - davon sprach
Lauterbach.

Im Bundestag erläuterte er, dass es mit Alltagsauflagen gelungen sei,
auch die Omikron-Welle zu verlangsamen, so dass hohe Fallzahlen wie
in Nachbarländern bisher nicht erreicht worden seien. Die
Beschränkungen reduzierten die Gesamtkontakte aktuell um die Hälfte
im Vergleich zur Vor-Pandemie-Zeit. Dies habe zahlreiche Todesfälle
verhindert. Er appellierte zugleich an alle Ungeimpften: «Viele von
uns erbringen große Opfer, um Sie zu schützen. Bitte ergreifen Sie
die Gelegenheit zumindest zur ersten Impfung.»

Die Stiko befürwortet nun generell Booster-Impfungen für Kinder
zwischen 12 bis 17 Jahren mit dem Impfstoff von Biontech «in der
altersentsprechenden Dosierung» und mindestens drei Monate nach der
vorangegangenen Impfung, wie das RKI mitteilte. Der Entwurf muss noch
in ein Stellungnahmeverfahren, ist also noch keine endgültige
Empfehlung. Die Lage mit stark steigenden Fallzahlen durch Omikron
mache eine Ausweitung der Impfkampagne nötig. Bislang werden Booster
für Kinder ab 12 in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt.
Lauterbach begrüßte die schnelle Reaktion des unabhängigen Gremiums:

«Jetzt haben alle Jugendlichen und ihre Eltern Gewissheit.»

Der SPD-Politiker warb erneut für die Einführung einer allgemeinen
Impfpflicht als «sichersten und schnellsten Weg» aus der Krise. Er
machte deutlich, dass dies auch moralisch geboten sei: «Wenn wir uns
alle weigern würden, die gut erforschte und nebenwirkungsarme Impfung
zu nutzen, um uns selbst und andere vor Tod und schwerer Krankheit zu
schützen, würden wir die Pandemie wahrscheinlich nie beenden können.
»
Daher könne eine solche Verweigerung nie die Maxime des Handelns für
alle sein. Eine Kombination von Impfung und Medikamenten-Behandlung
sei eine realistische, maßvolle Möglichkeit. «Wir beenden damit einen

Belagerungszustand unserer Gesellschaft durch ein Virus.»

In Test-Laboren nimmt die Auslastung inzwischen zu. «Die hohen
Infektionszahlen gehen mit vielen Tests einher. Weil derzeit kaum
priorisiert wird bei PCR-Tests, stoßen die Labore in Deutschland
zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen», sagte der Vorsitzende des
Verbands Akkreditierte Labore in der Medizin, Michael Müller, der
«Rheinischen Post» (Donnerstag). Nach Angaben des
Bundesgesundheitsministeriums von Montag war die mögliche
Wochenkapazität von 2,4 Millionen PCR-Tests mit zuletzt bis zu 1,5
Millionen Tests zunächst aber noch nicht ausgereizt.

Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sprach sich für eine
Priorisierung bei den genaueren PCR-Tests aus. Sie müssten für
wichtige medizinische Diagnostik von Schwersterkrankten und für
Personal der kritischen Infrastruktur vorrangig bereitgehalten
werden. «Das kann bedeuten, dass im Einzelfall, beispielsweise beim
Freitesten, es zu Verzögerungen kommt», sagte er im rbb-Inforadio.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sagte, Schulen
gehörten zur kritischen Infrastruktur - falls Testkapazitäten knapp
würden, dürfen Schülerinnen und Schüler nicht das Nachsehen haben.


Der Bundestag machte am Abend den Weg frei für die zwischen Bund und
Ländern verabredeten neuen Quarantäneregeln. Die von den Abgeordneten
gebilligte Verordnung schafft unter anderem den rechtlichen Rahmen
dafür, dass sich dreifach geimpfte Kontaktpersonen von
Corona-Infizierten nicht mehr isolieren müssen. Außerdem können damit

kürzere Quarantänezeiten ermöglicht werden, um bei stark steigenden
Infektionszahlen den personellen Zusammenbruch wichtiger
Versorgungsbereiche zu verhindern. Bevor die Verordnung in Kraft
treten kann und die Länder zur Umsetzung schreiten, muss am Freitag
allerdings noch der Bundesrat zustimmen.

Die Opposition kritisierte erneut den Corona-Kurs der Regierung.
Diese mache keine Politik der ruhigen Hand, sondern eine «Politik der
eingeschlafenen Füße», sagte der CDU-Abgeordnete Tino Sorge in einer

Debatte zur Gesundheitspolitik der Koalition im Bundestag. Er warf
Lauterbach «dröhnendes Schweigen» bei wichtigen Fragen vor, etwa
dazu, welches primäre Ziel eine Impfpflicht erreichen solle. Laut RKI
haben mindestens 72,3 Prozent der Bevölkerung (60,1 Millionen
Menschen) den vollständigen Grundschutz mit der dafür meist nötigen
zweiten Impfung. Zusätzlich einen Booster haben 45,1 Prozent aller
Einwohner (37,5 Millionen) erhalten.