Holpriger Start: Kanzler Scholz und seine Impfziele Von Michael Fischer, dpa

«Aufbruch und Fortschritt» hat Kanzler Scholz seiner Regierung auf
die Fahnen geschrieben. Bei der von ihm angestoßenen Impfpflicht geht
es aber weniger schnell voran, als er sich das vorgestellt hat. Das
gilt auch für zwei weitere Impfziele, die er ausgegeben hat.

Berlin (dpa) - Genau fünf Wochen ist Bundeskanzler Olaf Scholz im
Amt, wenn er sich an diesem Mittwoch im Bundestag erstmals den Fragen
der Abgeordneten stellt. 65 Minuten sind dafür im Zeitplan des
Parlaments vorgesehen. Thematische Vorgaben gibt es nicht, aber eins
ist schon vorher klar: Die Bekämpfung der Corona-Pandemie wird im
Mittelpunkt stehen. Und ziemlich sicher ist auch: Es dürfte
ungemütlich für den neuen Regierungschef werden.

Denn nach gerade mal einem Monat im Kanzleramt ist Scholz
ausgerechnet bei einem Thema in die Defensive geraten, das er in
seiner Regierungserklärung im Dezember zur Chefsache erklärt hat: bei
der Pandemiebekämpfung. «Dass die notwendigen Maßnahmen eingeleitet
werden, das ist meine Aufgabe, dafür trage ich die Verantwortung, und
das hat meine oberste Priorität», sagte er damals. Teilweise mag das
bisher gelungen sein. Die Virusvarianten Delta und Omikron haben in
Deutschland bisher für weit weniger Infektionen gesorgt als in
manchem Nachbarland.

Impfziel Nummer 1: Impfpflicht bis Anfang März

Bei einer Maßnahme, die längerfristig von Bedeutung sein könnte, hakt

es aber. Gut eine Woche vor seinem Amtsantritt hatte Scholz sich nach
monatelanger Ablehnung für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen
und gleich zwei Daten mitgeliefert, zu denen sie in Kraft treten
soll: «Deshalb, finde ich, wäre es richtig, wenn sie für alle gilt,
ab Anfang Februar, Anfang März.»

Wer Daten und Zahlen nennt, wird später an ihnen gemessen, das ist
eine einfache Spielregel in der Politik. Das Problem: Scholz hat
ebenfalls schon im November klar gesagt, dass er den Bundestag in der
Pflicht sieht, die Impfpflicht durchzusetzen - und die
Bundesregierung in einer passiven Rolle. Mit anderen Worten: Er hat
den Ball aufs Spielfeld geworfen, ist dann aber an der Seitenlinie
stehen geblieben.

Das macht ihm die Opposition jetzt zum Vorwurf und beklagt mangelnde
Führung - wohl wissend, dass Scholz Führungsstärke als sein
Markenzeichen sieht. «Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass
er sie dann auch bekommt», hat er schon gesagt, bevor er in Hamburg
zum ersten Mal eine Regierung angeführt hat.

Am Dienstagabend hat SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nun etwas Druck
aus dem Kessel gelassen, indem er einen Zeitplan für die Entscheidung
über die Impfpflicht präsentierte. Ende Januar sollen Eckpunkte für
einen Gesetzentwurf vorgelegt werden. Auf dieser Grundlage soll mit
Abgeordneten anderer Fraktionen über einen gemeinsamen Gruppenantrag
gesprochen werden. Und bis Ende März soll dann die Entscheidung
fallen - nicht ganz so schnell, wie der Kanzler sich das gewünscht
hat.

Verzögerungen könnte es auch bei zwei weiteren Impfzielen geben, die
Scholz sich gesetzt hat.

Impfziel Nummer 2: 30 Millionen Impfungen bis Ende Januar

30 Millionen Impfungen bis Ende des Jahres 2021: Dieses von Scholz
Mitte November ausgegebene Ziel wurde am 26. Dezember erreicht.
«Darauf können wir alle stolz sein», feierte sein Gesundheitsminister

Karl Lauterbach den Erfolg prompt. Scholz hatte zu diesem Zeitpunkt
schon ein weiteres Ziel ausgegeben: Weitere 30 Millionen Impfungen
bis Ende Januar. Nur geht es jetzt nicht mehr ganz so schnell wie im
vergangenen Jahr. Bis einschließlich Montag waren nur 7,3 von den 30
Millionen Impfungen geschafft, und es bleiben nur noch drei Wochen.
Im Durchschnitt müssten also pro Tag mehr als eine Million Dosen
gespritzt werden, um ans Ziel zu kommen. Das gab es bisher aber an
keinem einzigen Tag in diesem Jahr.

Ziel Nummer 3: 80 Prozent Erstgeimpfte bis Ende Januar

Noch weiter weg ist Scholz von seinem Ziel, eine Impfquote von 80
Prozent bei den Erstimpfungen zu erreichen. Dafür war von
Regierungssprecher Steffen Hebestreit kurz vor Weihnachten der 7.
Januar als «ehrgeiziges» Zieldatum genannt worden, das schon kurz
darauf auf den 31. Januar korrigiert wurde. Um bis dann auf die 80
Prozent zu kommen, müssen sich immer noch 4,4 Millionen Ungeimpfte
zum ersten Mal immunisieren lassen. In den vergangenen zwei Wochen
seit Weihnachten waren es aber nur wenige Zehntausend pro Tag,
zusammen etwas mehr als 600 000.

Sollte Scholz die letzten beiden Ziele nicht bis Ende Januar
erreichen, könnte ihm das aber beim Erreichen des ersten Ziels - der
Impfpflicht - helfen. Denn mangelnder Impffortschritt ist das beste
Argument der Befürworter einer solchen Pflicht. Und Ende Januar wird
die SPD beginnen, in den anderen Fraktionen um Unterstützung für
ihren Gesetzesvorschlag zu werben.