Zeitplan für Impfpflicht offen - Kretschmann: «Verlieren viel Zeit»

Kommt eine Impfpflicht in Deutschland? In Teilen der Ampelkoalition
möchten manche so eine Pflicht am liebsten vermeiden. Bislang liegt
noch kein Antrag pro Impflicht vor - doch bald soll es so weit sein.

Berlin (dpa) - Trotz wachsenden Drucks auf Bundeskanzler Olaf Scholz
(SPD) ist der Zeitplan für die mögliche Einführung einer allgemeinen

Impfpflicht in Deutschland weiter offen. Der stellvertretende
SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese hält es immer noch für möglich,
dass der Bundestag wie von Scholz gewünscht bis Anfang März eine
solche Impfpflicht beschließt, wie er am Dienstag in Berlin deutlich
machte. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr sagte, es gebe
nicht unbegrenzt Zeit. «Aber wir haben eine gewisse Zeit.»

Wiese sagte: «Ich habe immer gesagt, dass wir im ersten Quartal zum
Abschluss kommen wollen.» Das halte er für realistisch. «Das erste
Quartal bedeutet: Es kann Anfang März sein, es kann Mitte März sein,
es kann Ende März sein.» Anfang März kann nach jetzigem Stand aber
nur noch erreicht werden, wenn der Bundestag im Januar oder Februar
zu einer Sondersitzung zusammenkommt. Wiese versicherte: «Wir können
jederzeit eine Sondersitzung machen.»

Scholz hatte sich im vergangenen Jahr für ein Inkrafttreten einer
allgemeinen Impfpflicht Anfang Februar oder Anfang März
ausgesprochen. Die Abgeordneten sollen darüber frei entscheiden, ohne
sich an eine bestimmte Fraktionslinie halten zu müssen. Aus den
Reihen der Koalition von SPD, Grünen und FDP gibt es bisher nur einen
Antrag des Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki von der FDP, in
dem eine Impfpflicht abgelehnt wird.

Wiese stellte zu der «Orientierungsdebatte» im Bundestag, die für die

letzte Januarwoche geplant ist, einen weiteren Antrag in Aussicht.
«Der Antrag von Wolfgang Kubicki wird dann sicherlich nicht der
einzige sein», sagte er. Wer den Antrag vorlegt und ob sich
Abgeordneten aller Ampelfraktionen beteiligen, blieb offen.

Dürr sagte: «Das Ganze ist aus unserer Sicht eine medizinethische
Frage und keine parteipolitische.» Er selbst habe noch keine feste
Position. Ähnlich hatte sich am Vortag auch SPD-Generalsekretär Kevin
Kühnert geäußert.

Dürr sagte, er wolle sich nicht auf eine bestimmte Sitzungswoche für
eine Abstimmung festlegen lassen. Aber: «Wenn man zu einer
Entscheidung im ersten Quartal käme, dann sehe ich gar kein Problem,
das soweit umzusetzen, dass es im Herbst Wirksamkeit hätte.» Eine
Impfpflicht käme ohnehin gegen die laufende Omikron-Welle zu spät,
sagte Dürr. Es wäre außerdem «super», würde eine Impfpflicht ni
cht
gebraucht, weil durch mehr Booster-Impfungen die Wahrscheinlichkeit
wachse, von der pandemischen in eine endemische Lage zu kommen, also
eine weniger gravierende Lage.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne)
kritisierte in Stuttgart: «Wir verlieren sehr viel Zeit.» Die
Ministerpräsidenten hätten die Bundesregierung und den Bundestag
schon vor Weihnachten aufgefordert, einen Zeitplan vorzulegen. «Das
ist nicht erfolgt bisher.» Auch Scholz werde seine Ankündigung, die
Impfpflicht könne Ende Februar kommen, nicht halten können. «Das sehe

ich als nicht mehr realistisch an.» Er sei mit dem Verfahren
unzufrieden, sagte Kretschmann.

Bei der Union gab es ein Hin und Her in der Frage. Am Nachmittag
stellte die Spitze der Unionsfraktion klar, dass CDU und CSU im
Bundestag derzeit keinen eigenen Gesetzesvorschlag für eine
Impfpflicht vorlegen werden. Der CSU-Gesundheitspolitiker Stephan
Pilsinger hatte zuvor in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe einen
eigenen Unionsantrag angekündigt. Der Parlamentarische
Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), forderte die
Bundesregierung auf, einen Gesetzesvorschlag vorzulegen.

Schließlich bot Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) der
Ampel-Regierung Gespräche über eine Impfpflicht an. Wenn man eine
solche Impfpflicht mache, brauche dies «einen breiten demokratischen
Konsens und nicht eine Situation, wo man dann vier Gruppenanträge hat
und ein Gruppenantrag sich dann irgendwo knapp durchsetzt», sagte
Brinkhaus.

Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen warb bei CDU und CSU für
den geplanten Weg mit Vorschlägen aus dem Parlament. «Mit einem
Boykott von Gruppenanträgen würde die Union ein verheerendes Signal
an die Gesellschaft senden», sagte der Abgeordnete der dpa. Solche
Anträge könnten einen wichtigen Beitrag zur Überwindung
gesellschaftlicher Gräben leisten.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Stephan
Brandner, kündigte einen eigenen AfD-Antrag gegen die Einführung
einer Impfpflicht an. «An Gruppenanträgen, die einzig dazu dienen
werden, das wortbrüchige Verhalten der anderen Parteien zu
kaschieren, werden wir uns nicht beteiligen.»

Ein Großteil der Menschen in Deutschland ist laut einer Forsa-Umfrage
für eine allgemeine Impfpflicht. Laut Umfrage sind 70 Prozent der
Bundesbürger dafür, 28 Prozent dagegen. Der Rückhalt ist demnach bei

Anhängern der SPD (84 Prozent) und der Grünen (74 Prozent) sowie bei
denen der CDU/CSU (79 Prozent) am höchsten. FDP-Anhänger äußerten
sich mit 57 Prozent überwiegend negativ gegenüber einer allgemeinen
Impfpflicht. Noch höher war die Ablehnung bei Anhängern der AfD mit
89 Prozent.

Die Vorsitzende der Ärzteorganisation Marburger Bund, Susanne Johna,
und der Präsident des Verbands Leitender Krankenhausärzte, Michael
Weber, sprachen sich in der «Neuen Osnabrücker Zeitung» für eine
allgemeine Impfpflicht aus, Johna für eine zeitliche Befristung.