Über eine Million Sterbefälle 2021: Welchen Effekt hat Corona? Von Sandra Trauner, dpa

Wie viele Menschenleben die Corona-Pandemie gekostet hat, ist nicht
einfach zu beantworten. Für den Rekordwert von einer Million Toten
2021 sind auch andere Faktoren verantwortlich.

Wiesbaden (dpa) - Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkriegs sind in
Deutschland mehr als eine Million Menschen in einem Jahr gestorben.
Wer bei diesem Rekord nur an Corona denkt, liegt indes falsch: Andere
Ursachen spielten 2021 eine größere Rolle. Dennoch ist der Effekt der
Pandemie nicht wegzudiskutieren, wie Experten betonen.

Einer Hochrechnung des Statistischen Bundesamt zufolge starben im
vergangenen Jahr 1,017 Millionen Menschen. Über eine Million
Todesfälle hatte es auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik nur
1946 gegeben. «Während damals schwierige Lebensverhältnisse die hohen

Sterbefallzahlen erklärten, liegen die Zahlen heutzutage
hauptsächlich aufgrund der größeren Bevölkerung und des höheren
Anteils älterer Menschen in dieser Größenordnung», erklärten die

Statistiker am Dienstag in Wiesbaden.

Weil es immer mehr alte Menschen gibt, steigen die Todesfallzahlen
seit etwa 20 Jahren jährlich an, durchschnittlich um ein bis zwei
Prozent. Gleichzeitig wächst auch die Lebenserwartung - zumindest bis
zum Beginn der Corona-Pandemie. «Der Effekt der steigenden
Lebenserwartung schwächte damit den Alterungseffekt ab», erklärt das

Team für Demografische Analysen.

Mit Corona änderte sich das: Bereits 2020 war der Anstieg im
Vergleich zum letzten Vor-Pandemie-Jahr 2019 stärker als zu erwarten
- plus fünf Prozent. «Ausgehend von 2019 wäre für 2021 eine
Sterbefallzahl von 960 000 bis 980 000 erwartbar gewesen, also ein
Anstieg um zwei bis vier Prozent. Tatsächlich ist sie von 2019 auf
2021 um acht Prozent gestiegen», stellte das Statistikamt fest.

Es lohnt sich, einen Blick auf einzelne Monate zu werfen. Im Dezember
2021 starben in Deutschland nach einer Sonderauswertung der
vorläufigen Sterbefallzahlen 100 291 Menschen. Das waren 22 Prozent
mehr als im Mittel der Dezember-Monate der Jahre 2017 bis 2020. Im
Januar 2021 - während der zweiten Corona-Welle - lagen die
Sterbefallzahlen sogar 25 Prozent über dem Mittel.

Professor Tim Friede, Leiter des Instituts für Medizinische Statistik
der Universitätsmedizin Göttingen, erkennt an den Grafiken eindeutig,
dass die Ausschläge der Sterbefallzahlen parallel zu den Wellen der
Corona-Pandemie verlaufen. «Man sieht auch einen Zuwachs über die
Pandemie-Jahre hinweg - und der ist höher, als sich durch die
Alterung der Bevölkerung erklären lässt.»

Im Februar und März 2021 starben dann aber weniger Menschen als im
Schnitt der Vorjahre. Eine Ursache: Es gab neben Covid-19 kaum andere
Atemwegserkrankungen. Die Grippewelle, die sich sonst immer deutlich
in den Sterbefallzahlen abbildet, fiel 2021 quasi aus. Blickt man auf
die Grafiken mit Grippewellen, zeigt sich für Prof. Friede, dass in
den beiden Corona-Jahren die Spitzenwerte bei den wöchentlichen
Todesfallzahlen nicht höher waren als in Jahren mit starken
Grippewellen.

Im April und Mai 2021 lagen die Zahlen wieder leicht über dem
Schnitt. «Im Juni fielen die erhöhten Sterbefallzahlen mit einer
Hitzewelle zusammen», berichtete Destatis. Im Juli und August
bewegten sich die Zahlen wieder um den Meridian. Ab September ging
die Kurve aber nach oben, im November mit einem Plus von 21 Prozent.

Laut Statistischem Bundesamt «erklärten die gemeldeten
Covid-19-Todesfälle die erhöhten Sterbefallzahlen nur zum Teil»: Die

Sterbefallzahlen stiegen stärker als die Zahl der beim Robert
Koch-Institut gemeldeten Todesfälle. Dmitri Jdanov, Leiter des
Forschungslabors Demografische Daten am Max Planck Institut für
Demografische Forschung in Rostock, sieht dafür zwei mögliche Gründe.


Es könnten mehr Menschen an den Folgen einer Corona-Infektion
gestorben sein, als die Statistik ausweist - weil als Todesursache
zum Beispiel Herzkreislaufversagen angegeben wurde. Die
«Dunkelziffer» könnte recht hoch sein. «Noch höher dürfte aller
dings
die Zahl der indirekten Todesfälle sein», schätzt Jdanov: Operationen

wurden verschoben, Vorsorgeuntersuchungen verpasst - auch diese Fälle
müsse man der Pandemie zurechnen.