«Partygate» und kein Ende: Berichte über Johnsons Corona-Gartenfeier Von Benedikt von Imhoff, dpa

«Bringt Euren eigenen Alkohol mit»: Johnsons Büroleiter lädt etwa 1
00
Mitarbeiter zu einem Treffen ein. Auch der Premier selbst soll
erschienen sein. Dabei galten strenge Corona-Regeln. Sind neue
Berichte der Tropfen, der das Fass für Johnson zum Überlaufen bringt?

London (dpa) - Neue Berichte über einen Partyaufruf in der Downing
Street trotz strenger Corona-Regeln bringen den britischen
Premierminister Boris Johnson in Erklärungsnot. Dutzende Beschäftigte
sowie der Regierungschef und seine heutige Frau Carrie Johnson sollen
der Einladung von Johnsons Büroleiter Martin Reynolds gefolgt sein
und sich am 20. Mai 2020 im Garten des Amtssitzes getroffen haben.

«Es geht um 18 Uhr los, bringt Euren eigenen Alkohol mit»: Die
E-Mail, die der Sender ITV nun veröffentlichte, lässt kaum einen
Zweifel, dass es sich um eine private Veranstaltung handelte. Damals
durften sich nur zwei Personen im Freien miteinander treffen.

Angehörige von Corona-Opfern und die Opposition zeigen sich empört.
Wiederholt hatte Johnson trotz klarer Hinweise bestritten, dass in
der Downing Street die Corona-Regeln gebrochen worden seien. Als ein
internes Video aus dem Dezember 2020 zeigte, wie enge Mitarbeiter des
Premiers über die Vertuschung einer Weihnachtsparty scherzten,
betonte Johnson im Parlament: «Ich kann verstehen, wie wütend es
macht zu denken, dass die Leute, die die Regeln festgelegt haben, die
Regeln nicht befolgt haben, weil ich auch wütend war.»

Nun könnten seine Worte aus dem Dezember 2021 für Johnson selbst
Folgen haben. Die E-Mail seines Büroleiters sei die bisher
schwerwiegendste Eskalation der «Partygate»-Affäre, schrieb das
Online-Portal «Politico» am Dienstag. Die BBC-Reporterin Laura
Kuenssberg kommentierte: «Es gibt kein Entkommen für No 10 vor den
Party-Vorwürfen.» Im Garten von Johnsons Amtssitz seien für Drinks,
Chips und Wurströllchen lange Tische aufgebaut gewesen.

Damit ist Johnsons Hoffnung dahin, die Affäre, die zum Jahresende
seine Beliebtheitswerte einbrechen ließ, 2022 endlich loszuwerden.
Eben erst hatte sich der Ärger innerhalb seiner Konservativen Partei
gelegt. Nun sagte ein Kabinettsmitglied der Zeitung «Guardian»: «Dies

ist die schlimmste Bloßstellung, die der Premierminister jemals
aufgrund dieser Durchstechereien erlebt hat. Es gibt keine Erklärung.
Es gibt keine Möglichkeit, sich zu distanzieren.»

Die Opposition warf Johnson vor, Parlament und Öffentlichkeit belogen
zu haben. «Dies passt ins Muster, dass sie die Wahrheit verheimlichen
und dann anfangen zu lügen, wenn die Dinge ans Licht kommen», sagte
die Labour-Politikerin Emily Thornberry der BBC. Ihr Kollege Ed
Miliband stellte im Sender Sky News die rhetorische Frage, ob Johnson
angesichts der Vorwürfe noch in der Lage sei, das Land durch die
Pandemie zu führen. «Wie kann er die Leute dazu bringen, den
Gesundheitsratschlägen der Regierung zu folgen, wenn er so eklatant
gegen die Regeln verstoßen hat?», fragte Miliband.

Mittlerweile hat die britische Regierung die meisten Corona-Regeln in
England aufgehoben. Im Mai 2020 aber waren strenge Vorschriften in
Kraft. Angehörige konnten Beisetzungen ihrer Lieben nur online
verfolgen. Die Polizei wies Jogger per Megafon darauf hin, die
Abstandsregeln von zwei Metern zu anderen Personen einzuhalten.
Schulen, viele Läden sowie die Gastronomie waren geschlossen. 55
Minuten vor dem Beginn des mutmaßlichen Gartenfests rief der damalige
Kulturminister Oliver Dowden aus der Downing Street die Bevölkerung
auf, sich an die Regeln zu halten.

«Damals wussten alle, dass es falsch wäre, eine Party zu besuchen»,
sagte Hannah Brady von einer Organisation, die Corona-Opfer vertritt,
der BBC. «Wie konnten diejenigen, die das Land leiten, denken, dass
es okay sei?» Ihr Vater sei vier Tage vor der Feier gestorben. Im
September habe Johnson ihr im Garten der Downing Street, wo das Fest
stattgefunden haben soll, gesagt, er habe alles getan, um ihren Vater
zu schützen. «Wenn ich daran denke, wird mir schlecht», sagte Brady.


Die Londoner Polizei kündigte an, die Berichte zu prüfen. Auf
bisherige Anzeigen wegen mutmaßlicher Feiern in der Downing Street
hat die Behörde nicht reagiert. Derweil wurden mehr als 2000 Menschen
allein im Gerichtsbezirk Westminster strafrechtlich verfolgt, weil
sie sich nicht an Lockdown- oder Quarantäne-Bestimmungen gehalten
haben oder an Partys teilnahmen.

Kabinettsmitglied Ed Argar zeigte zwar Verständnis für die Empörung.

Er verwies aber wie Johnson selbst am Vortag auf eine laufende
interne Untersuchung, die der Premier bereits nach Berichten über
Weihnachtspartys in Auftrag gegeben hatte. Auf das Ergebnis wartet
das politische London nun voller Spannung, doch für Johnson sieht es
schlecht aus. Für das Regierungsmitglied, das sich anonym im
«Guardian» zitieren ließ, steht fest: «Seine einzige Rettung wäre
,
wenn sich die Öffentlichkeit nicht mehr darum scheren würde.»