«Müssen Aufbruch schaffen» - Wie die Politik Fachkräfte sichern wil l Von Basil Wegener und Fatima Abbas, dpa

Ob bei den Ingenieuren, in der Pflege oder im Handwerk - in vielen
Branchen tun sich die Betriebe bei der Fachkräftesuche längst schwer.
Und die Lücken dürften wachsen. Nun setzt die Regierung auf einige
Neuerungen.

Berlin (dpa) - Angesichts immer größerer Lücken bei Ingenieuren,
Handwerkern oder Pflegekräften will die Bundesregierung neue
Fachkräfte in großem Stil aus dem In- und Ausland gewinnen.
«Fachkräftemangel darf nicht zur dauerhaften Wachstumsbremse in
Deutschland werden», sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Zum Start ins neue Jahr
hatten die Spitzenverbände der Wirtschaft wegen breitflächig
fehlender Fachkräfte Alarm geschlagen. Heil sagte: «Wir müssen eine
n
Aufbruch schaffen und viel mehr Weiterbildung und damit
Weiterentwicklung jedes Einzelnen in Deutschland ermöglichen.» Bei
ihm sei Fachkräftesicherung ein künftiger zentraler Schwerpunkt.

Der Verein deutscher Ingenieure warnte am Montag vor verschärftem
Mangel an Ingenieuren durch Corona - wegen der Schulschließungen und
sinkender Zuwanderung von Studenten aus dem Ausland. Industrie- und
Handelskammerpräsident Peter Adrian hatte vergangene Woche gemahnt,
der Höhepunkt des Fachkräftemangels komme erst. Im Klima- und
Umweltbereich sind laut Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer 2,5
Millionen Beschäftigte tätig - doch «das ist zu wenig», so
Wollseifer. Zudem fehlen in den kommenden Jahren laut Städtetag
230 000 Erzieherinnen und Erziehern und 300 000 Pflegekräfte.

Heil sagte: «Wir erleben in einzelnen Regionen und Branchen bereits,
dass Arbeitskräfte und oft Fachkräfte fehlen, dass Lkw-Fahrer fehlen,
dass Menschen in der Pflege fehlen.» Um das Ziel zu erreichen,
Deutschland zur «Weiterbildungsrepublik» zu machen,
biete der Koalitionsvertrag «eine Fülle von neuen Instrumenten».


Bildungszeit:

Geplant haben SPD, Grüne und FDP etwa die Einführung einer
Bildungszeit nach österreichischem Vorbild. «Wir wollen, dass man
sich zur beruflichen Neuorientierung Auszeiten nehmen kann, um sich
weiterzubilden», so Heil. Der Lebensunterhalt der Menschen müsse dazu

abgesichert sein. In Österreich gebe es Unterstützung, wenn sich
Arbeitgeber und Beschäftigte über eine Weiterbildungsauszeit einig
seien. «Wir werden mit der Bildungszeit ermöglichen, dass man bis zu
einem Jahr finanzielle Unterstützung für diese Weiterbildung
bekommt.» Beschäftigte sollten dies als Teilzeit-Weiterbildung auch
über zwei Jahre strecken können.

Qualifizierungsgeld:

Angelehnt an das Kurzarbeiter- und Transformations-Kurzarbeitergeld
soll die Bundesagentur für Arbeit mit einem Qualifizierungsgeld
betriebliche Weiterbildung vorantreiben. Dies ist laut Heil vor allem
vorgesehen, «wo ein erheblicher Wandel ansteht, zum Beispiel bei
Zulieferer-Unternehmen in der Automobilindustrie». Für Menschen, die
in Langzeitarbeitslosigkeit sind, sollen laut Heil zudem neue Wege
der Qualifizierung geschaffen werden. So hätten zwei Drittel der
Langzeitarbeitslosen keinen Berufsabschluss. Deshalb sollten Bezieher
des künftigen Bürgergelds, das Hartz IV ersetzen soll, während des

Bezugs einen Berufsabschluss nachholen können. «Dies hat künftig
Vorrang vor der Vermittlung in kurzfristige Arbeit.»

Mehr Frauen in Arbeit: 

Die Erwerbsbeteiligung der Frauen sei zwar stark gestiegen - aber das
Arbeitszeitvolumen zwischen Männern und Frauen noch sehr
unterschiedlich, so Heil. Vereinbarkeit von Beruf und Familie solle
deshalb deutlich verbessert werden - durch den weiteren Ausbau von
Ganztagsbetreuung, flexiblere Arbeitszeiten und mobiles Arbeiten. Für
Beschäftigte auch mit normalen Einkommen sollten zudem
Dienstleistungen bei häuslicher Arbeit gefördert werden.

Fachkräftezuwanderung: 

«Und wir brauchen ergänzend noch mehr qualifizierte Zuwanderung auch
aus dem Ausland», sagte Heil. Das Einwanderungsgesetz solle
weiterentwickelt werden. «Im Moment haben viele Fachkräfte, die
einwandern wollen, Probleme, ein Visum zu bekommen, weil die
konsularischen Abteilungen unserer Botschaften überlaufen sind»,
sagte Heil. «Da braucht es dringend Abhilfe.» Er setze darauf, dass
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit dem neuen Bundesamt für

Auswärtige Angelegenheiten in Brandenburg an der Havel eine Art
Backoffice für die Botschaften eröffne, um diese zu entlasten und
Visaprozesse zu beschleunigen. Deutschland müsse auch weltoffen sein
und qualifizierte Fachkräfte mit offenen Armen empfangen. «Deutsche
Unternehmen müssen sich deshalb auch gezielt selbst bemühen bei all
der Unterstützung, die wir zum Beispiel mit der Bundesagentur für
Arbeit leisten können.»