Gericht will im KZ-Prozess weitere Überlebende als Zeugen hören

Ehemalige Häftlinge des KZ Sachsenhausen sollen im Prozess gegen
einen mutmaßlichen ehemaligen Wachmann der SS für Aufklärung sorgen.

Denn der Angeklagte streitet weiterhin ab, überhaupt in dem Lager
gewesen zu sein. Das Verfahren zieht sich in die Länge.

Brandenburg/Havel (dpa/bb) - Im Prozess um die Massentötungen von
Häftlingen im Konzentrationslager Sachsenhausen will das Gericht
weitere Überlebende des Lagers als Zeugen hören. Das kündigte der
Vorsitzende Richter Udo Lechtermann am Freitag an. Darunter ist ein
Überlebender des Lagers aus dem rheinischen Moers, der laut
Lechtermann vier Jahre lang in dem KZ inhaftiert war. Zudem sollen
weitere Überlebende aus Frankreich und Israel gehört werden. Anfang
November hatte bereits ein 92-jähriger Überlebender aus Israel über
den grausamen Lageralltag im Strafkommando der sogenannten
Schuhläufer berichtet.

Vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Neuruppin ist ein
101-Jähriger aus Brandenburg/Havel angeklagt, der als damaliger
SS-Wachmann in dem KZ von 1942 bis 1945 Beihilfe zum Mord an
mindestens 3518 Häftlingen geleistet haben soll. Die
Staatsanwaltschaft stützt sich auf Dokumente zu einem SS-Wachmann mit
dem Namen, dem Geburtsdatum und dem Geburtsort des Angeklagten. Im
Prozess hatte auch der Historiker Stefan Hördler zahlreiche Belege
zur Tätigkeit dieses Mannes in SS-Wachkompanien geliefert.

Der Angeklagte hat im Prozess dagegen bisher stets energisch
bestritten, in dem KZ als Wachmann gearbeitet zu haben. Stattdessen
will er in der Zeit von 1941 bis 1945 als Landarbeiter in der Gegend
um Pasewalk (Mecklenburg-Vorpommern) tätig gewesen sein. Das Gericht
wolle dazu auf Anregung des Nebenkläger-Anwalts Thomas Walther noch
einmal den Psychiater hören, der dem Angeklagten die eingeschränkte
Verhandlungsfähigkeit bescheinigt hatte, sagte Lechtermann. Walther
will dabei seine These untermauern, dass der 101-Jährige seine
Beteiligung an den Mordaktionen im KZ verleugnet und verdrängt und
sich stattdessen eine Scheinwelt aufgebaut habe.

Der historische Sachverständige Hördler schilderte am Donnerstag, am
20. Verhandlungstag, die besonders unmenschlichen Bedingungen, unter
denen die SS sowjetische Kriegsgefangene in verschiedenen KZ
inhaftiert hatte, darunter auch in Sachsenhausen. Daher hätten die
sowjetischen Kriegsgefangenen die höchste Todesrate unter den
verschiedenen Opfergruppen gehabt, berichtete der Historiker.

Der Nebenkläger-Anwalt Mehmet Daimagüler wies in einer Stellungnahme
darauf hin, dass hinter den Berichten des Historikers über die
Massentötungen von sowjetischen Kriegsgefangenen die Schicksale von
Zehntausenden 19- bis 20-jährigen Soldaten stünden. Die Leben dieser
jungen Menschen seien von den Nationalsozialisten unbarmherzig
ausgelöscht worden, mahnte Daimagüler.

Hördler konnte sein historisches Gutachten zu den Massentötungen im
KZ Sachsenhausen und in weiteren Lagern am Freitag noch nicht
abschließen. Daher solle er noch an zwei weiteren Prozesstagen gehört
werden, erklärte Lechtermann am Schluss der Verhandlung. Die Termine
sollen noch bestimmt werden. Die Verhandlungen müssen wegen des hohen
Alters des Angeklagten auf maximal drei Stunden begrenzt werden.

Der Prozess findet aus organisatorischen Gründen in einer Sporthalle
in Brandenburg/Havel statt. Bis Ende März sind noch zwölf
Verhandlungstage vorgesehen.