«Er ist kein Verbrecher» - Gerichtssaal statt Court für Djokovic Von Wolfgang Müller und Marc Kalpidis, dpa

Am Montag entscheidet ein Gericht in Melbourne, was aus Novak
Djokovic wird. Muss der weltbeste Tennisspieler ausreisen? Oder darf
er doch bei den Australian Open antreten? Der eigenwillige Serbe
sorgt schon wieder für nicht-sportliche Schlagzeilen.

Melbourne (dpa) - In einem tristen Hotel mit braun-grauer
Steinfassade und in eher ungewohnter Gesellschaft verbrachte Novak
Djokovic das orthodoxe Weihnachtsfest. Vor dem Park Hotel im
Melbourner Stadtteil Carlton versammelten sich auch am Freitag wieder
Fans mit Megafon und Fahnen samt Konterfei des prominenten Gastes.
Novak Djokovic, 34 Jahre alt, Nummer eins der Tennis-Welt, Gewinner
von 20 Grand-Slam-Turnieren und neunmaliger Champion der Australian
Open, sitzt seit Mittwochabend in dieser nicht eingeplanten Herberge.
Weil er offenkundig nicht gegen das Coronavirus geimpft ist.

«Lasst ihn raus, wir wollen ihn sehen. Er ist kein Verbrecher, er ist
ein Tennis-Held», rief eine Frau fast flehend, wie auf Fernsehbildern
zu sehen ist. Doch erst am Montag verhandelt ein Gericht in Melbourne
die Klage Djokovics und entscheidet, wie es weitergeht. Ausreise oder
doch noch der Start beim ersten großen Turnier der neuen Saison?
Erstmals meldete sich Djokovic am Freitag via Instagram zu Wort und
bedankte sich für die Unterstützung der vergangenen Tage.

Seit Tagen beherrscht Djokovic die Schlagzeilen. Seit Monaten macht
er ein Geheimnis um seinen Impfstatus. Seit Jahren polarisiert er.
Für die einen ist er Tennis-Held und bester Spieler der Gegenwart,
für die anderen der ungeliebte Gegenspieler der allseits beliebten
Granden Roger Federer und Rafael Nadal. Ein Impfskeptiker mit Hang zu
kruden Thesen und Spiritualität. Der einst mit dem Spanier Pepe Imaz
zusammenarbeitete, der in der Branche als «Guru» bezeichnet wurde.
Der einmal davon sprach, er könne durch mentale Kraft giftiges Wasser
in Trinkwasser verwandeln. Der Ehrgeizige und Verbissene, der einst
bei den US Open disqualifiziert wurde, weil er aus Wut einen Ball
wegschlug und dabei versehentlich eine Linienrichterin traf.

Der Organisator der Adria-Tour im Sommer 2020. Damals tauchten
Party-Bilder auf, die nicht in die Corona-Zeiten passten. Damals
infizierte sich Djokovic selbst mit dem Coronavirus. Diese Erkrankung
liegt jedoch viel zu lange zurück, als dass sein Status als Genesener
möglicherweise zu der medizinischen Ausnahmegenehmigung hätte führen

können, mit der Djokovic nun dachte, einreisen zu dürfen.

Die Posse entwickelt Tag für Tag groteskere Züge. Der australische
Tennisverband und der Bundesstaat Victoria, in dem Melbourne liegt,
erteilten Djokovic eine Genehmigung zur Teilnahme an den Australian
Open, obwohl eigentlich nur vollständig geimpfte Spielerinnen und
Spieler bei dem Turnier ab dem 17. Januar starten dürfen. Djokovic
trat also den mehr als 20-stündigen Flug nach Australien an - in der
Annahme, dass seine Unterlagen inklusive Visum korrekt und vom Staat
Victoria genehmigt seien. Offenbar aber nicht im Einklang standen mit
den Regularien des Landes Australien. Djokovic stand also alleine auf
der falschen Seite des Einreise-Schalters, der Grenzschutz
verweigerte das Visum und ließ Djokovic in das besagte Hotel bringen.

Statt sich nun also auf die Titelverteidigung und die Jagd nach der
21. Rekord-Grand-Slam-Trophäe einzustimmen, muss sich Djokovic erst
einmal auf eine Gerichtsverhandlung vorbereiten. In der Heimat
poltert Djokovics Vater, vergleicht seinen Sohn wahlweise mit Jesus,
Spartakus oder dem Wasser, das sich schon seinen Weg suchen werde.

Die Frage, ob Djokovic junior nun geimpft ist oder nicht, dürfte sich
erledigt haben. Wäre er gegen das Coronavirus geimpft, bräuchte er
keine Ausnahmegenehmigung. Die Frage ist: Wie konnte das passieren?
Wie konnte Djokovic in diese Situation geraten? Lag der Fehler bei
ihm und seinem Team? Oder wurde er möglicherweise falsch informiert?

Zuletzt wurde spekuliert, der australische Verband habe einen Fehler
gemacht und die Profis glauben lassen, eine Erkrankung in den
vergangenen sechs Monaten und der damit verbundene Genesenen-Status
würden die medizinische Ausnahmegenehmigung rechtfertigen. Dies würde
bedeuten, dass Djokovic zuletzt erneut an Covid-19 erkrankt war.

Ob der weltbeste Tennisspieler wie der deutsche Nationalspieler
Joshua Kimmich seine Meinung ändert und sich doch noch impfen lässt,
bleibt eine spannende Frage. Zumal ein Impfschutz auch Voraussetzung
für weitere Turnierteilnahmen in diesem Jahr sein dürfte. «Ich
glaube, er macht einen großen Fehler, sich nicht impfen zu lassen»,
schrieb Djokovics früherer Trainer Boris Becker in einem Gastbeitrag
für die «Daily Mail». Er würde «ihm dringend raten, sich impfen z
u
lassen - ob er auf mich hören würde, ist eine andere Sache.»

Djokovic gilt als stur und eigenwillig. Seine mentale Stärke jedoch
hat ihn zu unzähligen Titeln geführt. Becker, der drei Jahre lang
Djokovics Coach war und diesen sehr gut kennt, schrieb: «Doch diese
Stärken können auch Schwächen sein. Die gleiche unglaubliche
Entschlossenheit, mit der ich ihn so viele enge Matches habe gewinnen
sehen, kann mit seiner Sturheit auch eine Schwachstelle sein.»