Wer nervt hier wen? Frankreich streitet über Ungeimpfte und Macron Von Rachel Boßmeyer, dpa

Frankreich will die Corona-Regeln für Ungeimpfte verschärfen.
Präsident Emmanuel Macron wird dabei auch im Ton härter. Das löst
heftige Kritik aus, aber nicht unbedingt wegen der Maßnahmen an sich.

Paris (dpa) - Je rasanter die Infektionszahlen steigen, desto stärker
wächst auch in Frankreich der Druck auf die Regierung, möglichst
schnell neue Corona-Regeln zu beschließen. Geht es nach ihrem Willen,
müssen sich Ungeimpfte schon ab Mitte Januar auf weitere große
Einschränkungen gefasst machen, werden Kinos, Theater oder Bars für
sie tabu sein. Doch das Parlament scheint diese Pläne zu durchkreuzen
- sehr zum Ärger von Staatschef Emmanuel Macron. Der brachte sich nun
mit für einen Präsidenten ungewöhnlich derben Worten in die Debatte
ein - und stieß mit seiner Fäkalsprache bei der Opposition auf
Empörung.

«Ich habe große Lust, sie zu nerven, also werden wir fortfahren, dies
bis zum Ende zu tun», hatte die Zeitung «Le Parisien» Macron am
Mittwoch mit Blick auf Ungeimpfte zitiert. Mit dem im
französischen Original benutzten Wort für «nerven» («emmerder
»)
verwendet der als nicht unbedingt locker und volksnah geltende
Präsident ein umgangssprachliches Wort, das ursprünglich so viel hieß

wie «jemanden mit Exkrementen bedecken», heute aber geläufig ist.

Entsprechend empört zeigte sich die Opposition über Macrons
Ausdrucksweise. Seine Widersacherin Marine Le Pen vom extrem
rechten Rassemblement National nannte den Staatschef seines Amtes
unwürdig. Auch die Sozialisten fanden, Macrons Aussage entspräche
nicht seiner Funktion. Doch angesichts der anstehenden
Präsidentschaftswahl in gut drei Monaten überrascht es kaum, dass
Macrons gesammelte Konkurrenz im Kampf um den Élyséepalast sich nun
echauffiert. Dass es vor allem um die Wahl geht, zeigt sich auch
daran, dass sich an den Inhalten von Macrons Aussage - der Forderung
nach strengeren Corona-Regeln im Kampf gegen die Pandemie - kaum
einer abarbeiten will.

Angetrieben von der Omikron-Variante werden in Frankreich die
Fallzahlen derzeit in völlig neue Höhen getrieben - zuletzt auf mehr
als 332 000 Infektionen an einem Tag. Ohne Pandemie wäre Macrons Lage
im Kampf um das Präsidentenamt alles andere als übel. Denn der
Staatschef hat in den Umfragen zu den Wahlen im Frühjahr die Nase
vorne. Noch hat der 44-Jährige seine Kandidatur zwar nicht erklärt,
wirkliche Zweifel an seinen Bestrebungen gibt es aber nicht. «Ich
habe Lust», sagte Macron zuletzt. Sobald die Gesundheitslage es
erlaube und er das Thema geklärt habe, werde er sich äußern.

Doch das Aufflammen der Pandemie bringt den Amtsträger auch in die
Lage, mitten im Wahlkampf mitunter unbeliebte Entscheidungen treffen
zu müssen. Bereits im Sommer sah sich Macron nach der Einführung
einer Impfpflicht für Gesundheitspersonal sowie flächendeckenden
3G-Regeln - also Zutritt nur für Genesene, Geimpfte oder Getestete -
Massenprotesten gegenüber. Zuletzt setzte die Regierung trotz immer
weiter steigender Zahlen verstärkt auf klein geschnürte Pakete:
drei Wochen Essverbot im Fernzug, in der Bar kein Speisen mehr im
Stehen und zeitweise Homeoffice-Pflicht.

Die weitreichendste Maßnahme aber soll künftig die etwa fünf
Millionen Ungeimpften im Land treffen. Der sogenannte Gesundheitspass
soll zum Impfpass werden. Ein negativer Corona-Test reicht für den
Eintritt in Kultureinrichtungen oder Bars dann nicht mehr aus. Was
genau für Genesene gelten soll, will die Regierung später endgültig
festlegen.

Genau auf diese geplante Neuregelung spielte Macron an, als er davon
sprach, Ungeimpfte weiter nerven zu wollen. Kurz zuvor - in der Nacht
zu Dienstag - hatte die Nationalversammlung im hitzigen Streit um die
Regelungen der Regierung eine Schlappe zugefügt. Sie hatte die
Prüfung des Vorhabens nachts überraschend unterbrochen - die
Opposition überstimmte die eigentliche Regierungsmehrheit wegen
Abwesenheiten.

Nach der heftigen Kritik der Opposition an Macrons Wortwahl sprangen
Premier Jean Castex und auch Regierungssprecher Gabriel Attal ihrem
Präsidenten zur Seite, verteidigten die geplanten Maßnahmen und auch
die Härte gegenüber Ungeimpften. «Wer nervt denn heute wen?», fragt
e
Attal, und sagte, dass diejenigen, die gegen eine Impfung seien,
medizinischem Personal, Alten und Ladenbesitzern das Leben verdürben.
Castex sagte, was Macron äußere, höre er beim Besuch von
Intensivstationen überall.

Mittlerweile hat das Unterhaus des Parlaments die Novelle mit
Änderungen durchgewunken. Doch auch der Senat als zweite
Parlamentskammer hat noch ein Wörtchen mitzureden, die Beratung soll
wohl am Montag stattfinden. Und dann wollen Abgeordnete auch noch den
Verfassungsrat anrufen, um Punkte in dem Text prüfen zu lassen. Dass
die Regelungen also wie von der Regierung gewünscht zum 15. Januar in
Kraft treten können, scheint unwahrscheinlich. Mit dem konkreten
Nerven der Ungeimpften muss sich Macron also wohl gedulden.