Ein pandemisches Brennglas - Junge Leute kämpfen besonders mit Corona Von Janna Wolf, dpa

Die Corona-Pandemie verschlimmert die psychischen Probleme von
Kindern und Jugendlichen. Schnelle, niedrigschwellige und präventive
Hilfe ist gefragt.

Düsseldorf (dpa/lnw) - Jugendliche, die nicht gerne zur Schule gehen
und lieber stundenlang vor dem Laptop sitzen - das hat es vor Corona
auch schon gegeben. Aber die Pandemie hat das Problem verschärft.
«Sie wirkt wie ein Brennglas», berichtet die psychologische
Psychotherapeutin Birte Rohe. Bei der Fachstelle zur Stärkung der
psychischen Gesundheit der Stadt Düsseldorf telefoniert sie täglich
mit Kindern und Jugendlichen, die psychisch unter der Corona-Pandemie
leiden. Sie bekommt viele Geschichten mit.

Da gibt es Jugendliche, die nicht mehr zu Schule gehen und sich immer
mehr zurückziehen, teilweise gar nicht mehr aus dem Bett kommen.
Viele suchen in den sozialen Netzwerken die Kontakte, die ihnen im
echten Leben verwehrt bleiben. Zu den häufigsten Erkrankungen
gehörten Angsterkrankungen und depressive Störungen, sagt Rohe.

Diese Entwicklung beobachtete auch die psychologische Beratungsstelle
für Kinder- und Jugendlichen der Stadt Essen. «Die Probleme, wegen
derer die Hilfe bei uns gesucht wurde, haben sich deutlich
verschlimmert», sagt die Leiterin der Fachstelle und psychologische
Psychotherapeutin Petra Kogelheide. Vor allem Essstörungen haben
demnach massiv zugenommen. In vielen Familien seien bereits vorher
existierende Probleme eskaliert.

Die Pandemie betrifft Kinder jeden Alters. Angefangen bei den
Kleinsten: Viele konnten die wichtige Zeit der Vorschule nicht im
Kindergarten erleben und haben nun Schwierigkeiten, im Schulalltag
zurechtzukommen. In der Beratungsstelle in Essen sind im vergangenen
Jahr 20 Prozent mehr Anträge zur Eingliederungshilfe in der Schule
eingegangen. «Die Kinderärzte, mit denen wir zusammenarbeiten, haben
noch nie so viele Kinder mit Entwicklungsrückschritten gesehen, in
jeder Hinsicht - motorisch, sprach-bezogen sowie sozial-emotional»,
sagt Kogelheide.

Jugendliche leiden darunter, dass viele ihrer sozialen Kontakte
wegfallen. Freunde treffen, Sport machen - lange war das nicht
möglich. Besonders gravierend wirkten Schulschließungen. «Schule hat

eben auch einen sozialen Aspekt und ist nicht nur nervig, und wenn
das fehlt, dann ist das für die Kinder einfach problematisch», sagt
Rohe.

Die Ungewissheit über den Verlauf der Pandemie sei ebenfalls
belastend für Kinder. Rohe erklärt: «Wenn ein Kind im frühen Alter

diese Pandemie erlebt und erfährt, wie die ganze Welt Kopf steht, wie
auch Erwachsene nicht so richtig wissen, was zu tun ist, dann kann
eine Ängstlichkeit entstehen, die auch noch eine Weile über die
Pandemie heraus andauert.»

Viele Kinder- und Jugendpsychotherapeuten sind inzwischen überlastet.
Auf einen Therapieplatz müssten Betroffene in Deutschland
durchschnittlich sechs Monate warten, berichten die Expertinnen.
Hilfe für betroffene Kinder und Jugendliche muss nach Ansicht von
Silvia Schneider, Professorin für Kinder- und Jugendpsychologie an
der Ruhr-Universität Bochum, deswegen schnell, niedrigschwellig und
präventiv sein.

«Bei Kindern und Jugendlichen haben wir den Vorteil, dass wir durch
die Schule an alle Kinder rankommen. Es ist ein guter Weg, über
Schulen durch Schulsozialarbeiter oder Schulpsychologen Workshops zu
veranstalten und den Schülern zu helfen, das Ganze zu verarbeiten»,
sagt Schneider. Ihr Lehrstuhl habe in Bochum eine Initiative
gestartet, die genau solche Workshops an Schulen veranstaltet. Dabei
gehe es auch darum, den Kindern zu zeigen, dass es in dieser
Situation auch ein Stück weit normal sei, niedergeschlagen zu sein.
Gleichzeitig müssten mehr psychotherapeutische Angebote für
depressive Kinder oder Jugendliche eingerichtet werden. Hier sieht
Schneider die Bundesregierung in der Pflicht.

Für die Eltern der belasteten Kinder gilt hingegen: Zuhören und
ernstnehmen. «Man neigt als Erwachsener oft dazu zu sagen, du
brauchst keine Angst zu haben», erklärt Rohe. Besser stattdessen:
«Ich kann verstehen, dass du dir Sorgen machst, und ich kümmere mich
darum, dass es dir gut geht.»