Über 1400 Cannabis-Patienten in Thüringen - Experte skeptisch

Hunderte Thüringer haben sich bisher Cannabis als Arzneimittel
verschreiben lassen. Die Erwartungen nach der Freigabe 2017 waren
groß - und wurden nach Ansicht eines Mediziners enttäuscht.

Jena (dpa/th) - Seit der Freigabe von Cannabis als Arzneimittel haben
mehr als 2300 Menschen in Thüringen einen Antrag auf Kostenerstattung
bei den Krankenkassen gestellt. Bei mehr als 1400 wurde ein solcher
Antrag genehmigt, wie mehrere große Kassen der Deutschen
Presse-Agentur mitteilten. Eingesetzt wurde Cannabis den Angaben
zufolge vor allem für Patienten mit Schmerzsymptomen, aber auch teils
für psychische Erkrankungen. Fast fünf Jahre nach der Freigabe Anfang
2017 haben sich nach Einschätzung eines Experten jedoch viele
Hoffnungen für die Therapie von Schmerzpatienten nicht erfüllt.

Diese Hoffnungen seien durch die große mediale und politische
Aufmerksamkeit für das Thema geweckt worden, sagte der Leiter der
Sektion Schmerztherapie am Universitätsklinikum Jena, Winfried
Meißner. «Und das steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu den
Daten, die wir haben.» Diese zeigten, dass es für gewisse Symptome
zwar medizinische Effekte gebe - «dass die aber in vielen Fällen
maßlos überschätzt werden».

In der Schmerztherapie gebe es etwa eine kleine Gruppe von Patienten,
bei denen Cannabis schmerzlindernd wirken könne - etwa bei Patienten
mit Rückenmarksverletzungen, Multipler Sklerose oder mit HIV. Hier
sei in hochwertigen Studien, in denen eine Kontrollgruppe ein
Placebo-Präparat bekommt, eine gewisse Wirksamkeit beschrieben
worden. Diese sei aber nicht sehr groß. «Bei keiner dieser
Schmerzarten gilt Cannabis als Mittel erster Wahl.»

Für viele andere Schmerzen wie etwa Rückenschmerzen oder
Kopfschmerzen hätten sich die Hoffnungen ganz klar nicht erfüllt.
«Dort sehen wir fast überhaupt keine Effekte.» Einige Patienten
berichteten jedoch davon, dass der Schmerz zwar gleich bleibe, sie
sich aber besser fühlten durch die «angenehmen Auswirkungen» der
Cannabis-Einnahme. Dort müsse man sich aber fragen, ob das Sinn der
Behandlung sei. «Mit dem gleichen Argument könnte man auch ein Glas
Rotwein verschreiben, da berichten Patienten bisweilen ähnliches.»

Die meisten Cannabis-Genehmigungen in Thüringen seit 2017
verzeichnete die AOK Plus mit 908. Anträge wurden hier 1495 gestellt.
In den vergangenen drei Jahren habe es jährlich etwa 200
Genehmigungen gegeben. Die Barmer genehmigte 363 von insgesamt 490
Anträgen. Bei der IKK Classic gab es 201 Genehmigungen bei 314
Anträgen. Die BKK VBU verzeichnete niedrige zweistellige Zahlen. Der
Techniker Krankenkasse lagen keine Zahlen für Thüringen vor.

Patienten müssen sich von ihrer Krankenkasse einmal ihre
Cannabis-Therapie genehmigen lassen, bevor ein Arzt die
entsprechenden Arzneien auf Kosten der Gesetzlichen Krankenkassen
verordnen kann. Diese Bewilligungen gelten dann für die Dauer der
Therapie. Voraussetzung für eine Genehmigung sei, dass eine schwere
Erkrankung vorliegt und es keine Therapie-Alternativen gibt, erklärte
eine Sprecherin der Techniker Krankenkasse.

Birgit Dziuk, Landesgeschäftsführerin der Barmer, machte klar, dass
Cannabis kein «Allheilmittel» sei, sondern immer Bestandteil eines
umfassenden Therapiekonzeptes sein sollte. «Nur zur alleinigen
Behandlung von Schmerzsymptomen ist Cannabis wenig geeignet.»
Cannabis-Verordnungen gehe daher in der Regel eine differenzierte
Schmerzanamnese voraus, zu der auch psychische und soziale Aspekte
zählen, die das Schmerzerleben beeinflussen, sagte sie.