Verliert Corona durch Omikron mittelfristig an Schrecken? Von Marco Krefting, dpa

Omikron war schon kurz nach seiner Entdeckung ein Angstmacher und
Launeverderber. Inzwischen gibt es immer mehr Erkenntnisse. Kann die
Variante sogar der Anfang vom Ende der Pandemie sein?

Berlin (dpa) - Ist es nach zwei Jahren Pandemie soweit, dass wir nun
ein weiteres Fachwort öfters hören müssen - oder dürfen? Das
Coronavirus soll «endemisch» werden - und zwar möglichst bald. «Das

bedeutet, dass das Virus keine relevante Bedrohung mehr für das
Gesundheitssystem darstellt», erklärte Michael Weber, der Präsident
des Verbands der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands, kürzlich in
der «Welt am Sonntag». Könnte die neue Variante Omikron, die sich
gerade rasant in Deutschland verbreitet, die Wende zum Guten bringen?

Die wichtigsten Fakten zu Omikron: Die Variante wurde im November aus
Südafrika gemeldet. Laut Robert Koch-Institut (RKI) hat sie eine
ungewöhnlich hohe Zahl an Mutationen im sogenannten Spike-Protein,
einem Baustein des Virus. Einige der Mutationen sind relevant etwa
mit Blick auf die Übertragbarkeit, die bei Omikron besonders hoch
ist. Gleichzeitig gehen Experten davon aus, dass die Variante mildere
Krankheitsverläufe verursacht. Zudem ist die Wirksamkeit der
Impfstoffe Studien zufolge bei Omikron abgeschwächt.

Hoffnungsträger: Auch wenn erst wenige Studien zu Omikron vorliegen
und die Lage in Deutschland nur bedingt mit der in anderen Ländern
vergleichbar ist, mehren sich die Stimmen, die mittelfristig von
etwas Entspannung durch Omikron ausgehen. Die Idee dahinter: Durch
Omikron könnte - das ist aber bislang nur eine Hypothese - eine
endemische Situation näher rücken. Die hohe Übertragbarkeit könnte

dazu führen, dass die Bevölkerung als Ganzes vergleichsweise schnell
eine höhere Immunität erreicht. Im Idealfall könnten die milderen
Verläufe Druck vom Gesundheitssystem nehmen.

«Endemische Situation heißt, dieses Virus wird zu einem
Erkältungsvirus wie viele andere auch», sagte der Berliner Virologe
Christian Drosten kurz vor dem Jahreswechsel im ZDF. «Wie übrigens
vier weitere Coronaviren in der Vergangenheit schon.» Es sei eine
gute Situation, wenn ein Virus nicht mehr so krank macht, aber gut
übertragbar sei und Immunitätslücken in der Bevölkerung schließe.

Wenn sich das Virus im Jahresverlauf nicht erheblich ändere, dürften
wir «einen relativ normalen Winter» haben - wie in Zeiten schwerer
Grippewellen.

Die Ansteckung: Auf Grundlage von Daten etwa aus Dänemark, Südkorea
und Großbritannien kann Omikron laut Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut
für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen als etwa 2,5-
bis 3,5 Mal infektiöser als die Delta-Variante eingestuft werden.
Laut einer gerade im Preprint - also ohne Überprüfung von
Fachkollegen - veröffentlichten Studie aus Dänemark war Omikron in
Haushalten, in denen nur Doppelt-Geimpfte oder nur Geboosterte
lebten, deutlich übertragbarer, so Zeeb. Diese Studie zeige aber
auch, dass Geboostere das geringste Übertragungsrisiko aufwiesen,
Ungeimpfte das höchste.

Drosten sprach im Deutschlandfunk kürzlich davon, dass sich die Zahl
der Infektionen in Deutschland in etwa alle vier Tage verdopple. Das
wäre erheblich langsamer als zum Beispiel in Großbritannien. Wegen
der Feiertage und den Weihnachtsferien ist die Datenlage
in Deutschland aber derzeit noch nicht wieder aussagekräftig.

Erste Zahlen deuten darauf hin, dass die Inkubationszeit - also die
Zeit zwischen der Infektion und dem Auftreten erster Symptome - bei
Omikron kürzer sein könnte als bei anderen Corona-Varianten, wie der
Leiter des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum
Düsseldorf, Jörg Timm, jüngst in einer Videokonferenz des Science
Media Centers (SMC) sagte. Eine belastbare Aussage sei derzeit aber
noch nicht möglich. Der Bonner Virologe Hendrik Streeck sagte bei RTL
vor kurzem, wegen der verkürzten Inkubationszeit sei ein
explosionsartiger Anstieg der Fälle zu erwarten, was zu Problemen
im Gesundheitsbereich aber etwa auch der sogenannten
kritischen Infrastruktur führen könnte.

Der Verlauf: Lungenzellen lassen sich Timm zufolge nach bisherigen
Erkenntnissen nicht so gut mit Omikron infizieren wie die Zellen der
oberen Atemwege, also in Nase und Rachen. Entsprechende Ergebnisse
aus Versuchen im Labor an Zellkulturen und im Tiermodell deckten sich
mit ersten Informationen aus den Kliniken. «Das bedeutet, dass die
Schwere der Erkrankungen mit Omikron abgenommen hat», sagte Timm. Es
bedeute aber nicht, dass eine Erkrankung keine Rolle mehr spiele. Das
sei nicht Schwarz-Weiß, so müssten zum Beispiel nach wie vor
Risikofaktoren jedes Einzelnen berücksichtigt werden.

Die Schwere der Erkrankung - gemessen am Anteil der Infizierten, die
ins Krankenhaus müssen - ist nach Daten des Imperial College bei
Omikron im Vergleich zu Delta um 20 bis 45 Prozent geringer, wie Zeeb
deutlich machte. Interessant auch in Hinsicht auf die Frage nach dem
Übergang zur Endemie sei, dass das Hospitalisierungsrisiko nach einer
durchgemachten Infektion oder nach der Impfung sogar noch deutlich
geringer sei. Das spreche für eine abnehmende Schwere durch
Immunisierung, erläuterte er.

Allerdings könnten bei Ansteckungsinzidenzen von über 1000 durchaus
wieder ähnlich viele Covid-Erkrankte in Kliniken gebracht werden wie
in der Delta-Welle, machte Andreas Schuppert vom Institute for
Computational Biomedicine an der Rheinisch-Westfälischen Technischen
Hochschule Aachen bei der SMC-Konferenz deutlich und ergänzte: «Wir
reden über Zahlen, die in Europa realistisch sind.»

Die großen Abers: Auch ein vergleichsweise milder Verlauf muss nicht

ohne sein. «Mild heißt nicht harmlos», betonte der Chefarzt der
Infektiologie und Tropenmedizin an der München Klinik Schwabing,
Clemens Wendtner, der im Frühjahr 2020 die ersten Corona-Fälle in
Deutschland behandelt hatte. So gebe es noch keine Erkenntnisse über
Long-Covid-Verläufe bei Omikron.

Auffallend hoch seien die Impfdurchbrüche bei Omikron, sagte
Schuppert. Selbst Geboosterte seien wohl nur noch zu 76 bis 82
Prozent geschützt. Gegen Delta habe der Schutz um die 95 Prozent
betragen. Der Impfschutz vor schweren Verläufen sei aber auch bei
Omikron hoch.

Problematisch sehen die Experten vor allem die auch im Vergleich zu
anderen Ländern hohe Zahl an Ungeimpften in Deutschland. Rund 30
Prozent der Bevölkerung seien nicht vollständig geimpft, machte
Wendtner im SMC-Gespräch deutlich. Und die Boosterkampagne habe
gerade erst begonnen. Zudem wirkten manche der extra für Corona
entwickelten Medikamente bei einer Omikron-Erkrankung nicht mehr.

Wahrscheinlich sei man nach einer Omikron-Infektion auch nicht gegen
Varianten wie Delta geschützt, sagte Drosten. Zudem heiße all das
nicht, dass nie wieder andere Varianten kämen. Er gehe auch von einem
Anstieg der Inzidenz zum nächsten Winter hin aus. «Das Virus ist
weiter in Bewegung.»