Narrenpräsident: «Kulturgut Fastnacht nicht sofort abschreiben»

Die Jecken in den Karnevalshochburgen Köln, Düsseldorf und Mainz
haben die «fünfte Jahreszeit» schon am 11. November ausgerufen.
Traditionell starten die schwäbisch-alemannischen Narren erst an
Dreikönig. Doch auch das dürfte dieses Mal sehr klein ausfallen.

Bad Dürrheim (dpa/lsw) - Auch wenn die Fastnacht in diesem Jahr
deutlich schmaler ausfallen wird als in Vor-Corona-Zeiten, sollten
die Narren doch aus Sicht von Verbandspräsident Roland Wehrle so viel
wie möglich umsetzen. Gerade für Kinder und Ältere sei es wichtig,
die Tradition unter Beachtung der Hygieneregeln aufrechtzuerhalten,
sagte der Präsident der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer
Narrenzünfte (VSAN) der Deutschen Presse-Agentur. «Wir sollten das
Kulturgut Fastnacht nicht sofort abschreiben - sondern versuchen,
alles zu tun, was unter Corona-Bedingungen möglich ist.»

Wehrle denkt zum Beispiel an Auftritte von Narren in Kindergärten
oder den Aufzug einer närrischen Kapelle vor einem Pflegeheim. «U
nd
warum sollten nicht auch Narrenblätter verkauft werden?», fragte er.
Schließlich sei das Glossieren des Zeitgeschehens Kern der Fastnacht.

Der Präsident geht davon aus, dass alle größeren Veranstaltungen mi
t
hohem organisatorischen und finanziellen Aufwand abgesagt werden. Wer
kleiner feiere, werde das vermutlich nicht groß bewerben, damit nicht
aus der Region viele Zuschauer dorthin strömten. Gerade für die
Hochburgen sehe er da eine Gefahr. Wiederum gebe es auf der Alb Orte,
wo schon vor Corona nur 200 bis 300 Menschen zusammenkamen. «Mit
genügend Abstand können die sicher auch dieses Mal feiern.»

Zum traditionellen Auftakt der schwäbisch-alemannischen Fastnacht
jetzt am Dreikönigstag könnte es vereinzelt närrische Aktionen wie
das sogenannte Einschnellen geben, sagte Wehrle. Ob dann Ende Februar
und Anfang März vom «Schmotzigen Dunschtig» bis Aschermittwoch mehr
möglich sei, werde vom Verlauf der Pandemie, insbesondere der
Ausbreitung der Omikron-Variante des Virus abhängen. Für kommende
Woche sei dazu ein Gespräch mit Vertretern aus dem Sozial- und aus
dem Innenministerium geplant, sagte der Verbandschef.

Dabei gehe es ebenso darum, ob Umzüge mit 2G- oder 2G-plus-Regeln
entlang der Strecke möglich seien - also nur für Geimpfte und
Genesene, gegebenenfalls mit aktuellem Test. «Immer im Bewusstsein,
dass man das nicht völlig kontrollieren kann.» Ausschlaggebend werde
vor allem sein, ob Baden-Württemberg an den Haupttagen der «fünften
Jahreszeit» noch die Alarmstufe ausgerufen hat. «Bis dahin sind es
aber ja noch mehr als sechs Wochen», betonte der Verbandspräsident.

Viele größere Umzüge wie in den rheinischen Schwesterstädten
Ludwigshafen und Mannheim sind schon abgesagt. Die Freiburger Fasnet
beispielsweise wird 2022 wieder nur online stattfinden.

Wenig Verständnis zeigte Wehrle für Pläne der Narrengilde Lörrach,

die Fastnacht coronabedingt in den Sommer zu verlegen. Das sei
«völlig daneben». Die Fastnacht gehöre in eine bestimmte Zeit. «D
as
ist einer der Höhepunkte des Jahreslaufs, die auch ein bisschen den
Alltag unterbrechen sollen», sagte Wehrle. «Niemand käme auf die
Idee, Weihnachten pandemiebedingt zu verschieben oder Ostereier im
Sommer zu suchen, weil im Frühjahr noch Schnee liegt.»

Obergildenmeister Jörg Rosskopf aus Lörrach hielt dem entgegen, dass
Lörrach anders als etwa Villingen und Rottweil keine althistorische
Fastnacht habe. «Da könnte ich die Kritik in einem gewissen Grad
nachvollziehen. Aber die Fastnacht in Lörrach, wie sie heute ist, ist
1936 entstanden.» Geplant sei ein buntes Sommerfest, das bewusst
nicht Fastnacht heißen solle. Vor allem der Umzug werde in die
Pfingstferien verlegt, aber nicht alle Programmpunkte der Fastnacht.
Aus anderen Regionen Baden-Württembergs und der Schweiz hätten schon

mehrere Zünfte angefragt, an dem geplanten Fest teilnehmen zu können.

Rosskopf geht es unter anderem darum, dass Vereine Geld einnehmen und
um Nachwuchs werben können. Faktoren, die Wehrle ebenfalls sieht.
«Die Fastnacht ist auch ein großer Wirtschaftsfaktor.» Gleicherma
ßen
profitierten Gastronomiebetriebe in den Städten davon.

Er verstehe das Bedürfnis nach größtmöglicher Normalität unter
Corona-Voraussetzungen. Würde man alles verbieten, würde das nach
seiner Einschätzung zu einer «unkontrollierten Fastnacht» führen un
d
zusätzlich Aggressionen fördern, sagte er nicht zuletzt mit Blick auf
zahlreiche Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in den
vergangenen Wochen. Letzten Endes sei jede Zunft, aber auch jeder
Einzelne selbst verantwortlich, sagte Wehrle und rief zum Impfen auf.

Die 1924 gegründete VSAN mit Sitz in Bad Dürrheim
(Schwarzwald-Baar-Kreis) ist eine der ältesten Narrenvereinigungen
Deutschlands. In ihr sind 68 Narrenzünfte aus den Regierungsbezirken
Freiburg, Tübingen und Stuttgart, dem bayerischen Regierungsbezirk
Schwaben sowie fünf Kantonen in der Schweiz zusammengeschlossen.