«Corona-Aufholprogramm»: Verbände ziehen kritische Zwischenbilanz

Die Schulschließungen im Frühjahr 2020 und im vergangenen Winter und
Frühling haben Spuren hinterlassen. Über ein «Aufholprogramm Corona
»
sollen Schülerinnen und Schüler mit Lernrückständen wieder Anschlus
s
finden. Das läuft bisher laut Bildungsexperten nur mäßig.

Berlin (dpa) - Rund ein halbes Jahr nach dem Start des sogenannten
Corona-Aufholprogramms für Schülerinnen und Schüler fällt die erste

Bilanz von Bildungs- und Lehrerverbänden kritisch aus. Zwar sei eine
pauschale Einschätzung wegen unterschiedlicher Maßnahmen in den
Bundesländern schwierig, sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, der Deutschen
Presse-Agentur. «Mehrheitlich melden die GEW-Landesverbände jedoch
zurück, dass die Maßnahmen offenbar nicht so fruchten wie geplant»,
fügte sie hinzu.

Finnern kritisierte, dass viele Angebote nicht die Kinder erreichten,
die am meisten Unterstützung bräuchten, sondern diejenigen, «deren
Eltern sich darum kümmern (können)». Sie erklärte das damit, dass
Maßnahmen nicht im System Schule «angedockt» seien. Gelder flössen

etwa in außerschulische Fördermaßnahmen und verfehlten so den Beitrag

zur Chancengleichheit.

Der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Udo
Beckmann, sagte, eine Beurteilung der Wirkung des Programms sei noch
nicht möglich, da es immer noch in der Entfaltung stecke. «Fakt ist,
dass die Wirkung des Nachholprogramms maßgeblich dadurch bestimmt
wird, wie sehr die einzelne Schule überhaupt Ressourcen hat, sich dem
einzelnen Schüler, der einzelnen Schülerin zu widmen.» Die jetzige
Schülergeneration zahle verschärft durch Corona den Preis für eine
über Jahre verfehlte Personalpolitik.

Ähnlich äußerte sich der Präsident des Deutschen Lehrerverbands,
Heinz-Peter Meidinger: «Nach unseren Informationen beteiligt sich die
große Mehrheit der Schulen an den Aufholfördermaßnahmen, allerdings
gibt es auch einen Teil, der aufgrund beispielsweise einer enorm
angespannten Personallage zu einer vollen Teilnahme nicht in der Lage
ist.» Zweifel am Erfolg der Aufholmaßnahmen äußerte Meidinger auch,

weil «die Freiwilligkeit der Fördermaßnahmen dazu führt, dass nicht

wenige Kinder mit großen Lernlücken nicht erfasst werden».

Bundestag und Bundesrat hatten im Juni das Programm «Aufholen nach
Corona für Kinder und Jugendliche» in Höhe von zwei Milliarden Euro
auf den Weg gebracht. Der Bund überlässt den Ländern unter anderem
Anteile aus der Umsatzsteuer, so dass sie zusätzliche Maßnahmen zur
Lernförderung finanzieren, Sozialprojekte ausweiten und mehr
kostenlose und günstige Freizeit-, Sport- und Erholungsangebote
anbieten können. Die Lernförderung kann beispielsweise von
Stiftungen, Vereinen, Initiativen, Volkshochschulen, pensionierten
Lehrkräften, Lehramtsstudierenden und auch kommerziellen
Nachhilfeanbietern übernommen werden. Die Bundesländer sollen dem
Bund bis spätestens Ende März einen Zwischenbericht zur Umsetzung der
Maßnahmen und Verwendung der Gelder vorlegen.

Am Montag kehren Schülerinnen und Schüler in Mecklenburg-Vorpommern,
Brandenburg, Berlin, Sachsen und Rheinland-Pfalz nach der
Weihnachtspause zurück in die Schulen, am Dienstag im Saarland und am
Mittwoch in Hamburg.

Nach Ansicht der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Karin
Prien, die im Januar die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz
übernimmt, wird die Bewältigung der Corona-Folgen für viele Schüler

Jahre dauern. Bei einem großen Teil hätten die Pandemie und
Schulschließungen nicht nur zu Lerndefiziten, sondern oftmals auch zu
psychischen oder psychosozialen Problemen geführt, hatte die
CDU-Politikerin kürzlich gesagt. Tendenziell hätten Grundschüler
damit stärkere Probleme als ältere Schüler. Betroffene bräuchten
Hilfe. «Und das wird, da muss man sich nichts vormachen, eine
Daueraufgabe.»

Das sehen die Verbände ähnlich: «Angesichts der Probleme vor allem
bei der personellen Ausgestaltung des Programms bin ich sehr
skeptisch, ob trotz allen Engagements der Schulen die mit dem
Programm verbundenen Erwartungen überhaupt erreicht werden können,
solange in vielen Schulen nicht einmal die personelle Grundversorgung
sichergestellt werden kann», sagte Beckmann. Er nannte Priens
Einschätzung «vor diesem Hintergrund (...) sehr realistisch».

Meidinger sagte: «Das wird mit Sicherheit kein Schnellläufer sein.»
Allerdings klinge das auch ein wenig so, als glaube die Politik
selbst nicht an einen Erfolg ihrer Bemühungen, «den abgehängten Teil

der Schülerinnen und Schüler in absehbarer Zeit an den normalen
Lernstand heranzuführen». Gerade Abschlussjahrgänge und Kinder, die
vor dem Wechsel auf eine weiterführende Schule stehen, hätten nicht
«viele Jahre» Zeit, um den Anschluss zu schaffen.

Die ehemalige Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte im
vergangenen Frühjahr in Vorbereitung des Aufholprogramms davon
gesprochen, dass 20 bis 25 Prozent der Schüler «vermutlich große
Lernrückstände» hätten.