Neustart für Oberammergauer Passion - «arbeiten und hoffen» Von Sabine Dobel, dpa

Entstanden vor fast 400 Jahren aus einem Pestgelübde, 2020 an Corona
gescheitert: Im Mai will Oberammergau seine berühmten Passionsspiele
nachholen. Nun starten die Proben neu - mit Corona-bedingten
Unsicherheiten.

Oberammergau (dpa) - Opulente Bilder, gewaltige Orchestermusik,
Hunderte Menschen auf der Bühne: Seit einem Pestgelübde 1633 bringen
die Oberammergauer alle zehn Jahre das Spiel vom Leben, Leiden und
von der Auferstehung Jesu als monumentales Epos auf die Bühne. Dieses
Mal soll das mit zwei Jahren Verspätung geschehen: Wegen der
Corona-Pandemie hatte Spielleiter Christian Stückl die eigentlich für
2020 geplante Passion auf dieses Jahr verlegt.

Obwohl Omikron Planungen erneut schwierig macht und die
Verantwortlichen mit Sorge auf den Premierentermin am 14. Mai
schauen, geht der oberbayerische Ort jetzt in die heiße Phase der
Vorbereitungen. «Wir wissen alle nicht, was passiert», sagte Stückl
zur Corona-Lage. Aber: «Wir werden jetzt mit den Proben beginnen -
und dann arbeiten und hoffen.» Am Donnerstag (6. Januar) treffen sich
alle 150 Darsteller mit Sprechrolle für eine erste Leseprobe.

Schon 2020 hatten sie wochenlang gepaukt. «Ich bin sicher, das
Textlernen wird vermutlich recht schnell gehen», sagt Frederik Mayet,
der zum zweiten Mal den Jesus gibt. «Den Text habe ich kürzlich nach
fast zwei Jahren in die Hand genommen und reingelesen. Ich war
erstaunt, einiges ist irgendwie noch abgespeichert.»

Allerdings ist der Text für Stückl kein fixes Konstrukt. Die Arbeit
daran sei «ein andauernder Prozess», sagt er. Fast bis zum letzten
Tag vor der Premiere feilt er daran - es könnte sich noch einiges
ändern. «Ich habe den Text gerade gelesen und ich denke, die Hälfte
ist so, dass ich nochmal sehr drüber nachdenke.» Klar ist für Stück
l
schon: Jesus soll lauter und unüberhörbarer werden - und vielleicht
könnten die Frauen ein stärkeres Gewicht erhalten als bisher.

Doppelt lernen muss der zweite Jesus-Darsteller Rochus Rückel. Er
studiert Luft- und Raumfahrttechnik und hat bis Anfang Februar seine
Prüfungen. Die Hoffnung aller: Dass die Passion stattfinden kann.
«Der schlimmste Fall wäre eine erneute Absage», sagt Rückel.

«Wir sind froh, dass es endlich wieder losgeht», sagt auch die
Maria-Darstellerin Eva-Maria Reiser. «Diese Passionsspiele werden
sicherlich andere werden. Allein die Erlebnisse mit und in der
Pandemie werden bestimmt Einfluss nehmen.»

Die zweite «Maria» Andrea Hecht - alle 20 Hauptrollen sind doppelt
besetzt - sieht die Stimmung «schon gedämpfter als die letzten Male».

«Ich hoffe trotzdem, dass die Passion 2022 unter einem guten Stern
steht und stattfinden kann.» Sie werde wohl nicht viel Text lernen
müssen, es sei denn, es gäbe größere Änderungen. «Manche Szenen
sind
mir noch sehr präsent, besonders die aus der letzten Probe 2020.»

Im März 2020 hatten die Darsteller zuletzt geübt. Wenige Tage später

trat Stückl sichtlich aufgewühlt vor das Passionstheater und sagte
die Premiere ab. Es war die erste Verschiebung seit 100 Jahren - und
die vierte in der fast vierhundertjährigen Geschichte der Passion.

Auf den Straßen von Oberammergau ist inzwischen zu sehen, dass es
wieder auf das Schauspiel zugeht. Wallende Haare und Bärte prägen das
Bild. Alle Mitspieler - bis auf Römer und Engel - müssen seit
Aschermittwoch die Haare wachsen lassen. So will es die Tradition.

Doch die Stimmung im Dorf ist gemischt. «Einige sind noch abwartend
und wollen nicht noch mal so enttäuscht werden», sagt Mayet. «Ich
persönlich bin überzeugt, dass wir das Passionsspiel im Jahr 2022 zur
Premiere bringen werden.» Diese Überzeugung teilen nicht alle. Es sei
nicht einfach, die Motivation hochzuhalten, sagt Stückl. Er setzt auf
den Probenstart - das gemeinsame Probieren werde neu motivieren.

Der 60-Jährige, der die Passion zum vierten Mal inszeniert, steht vor
völlig neuen Schwierigkeiten. Er wolle, dass «kein Ungetesteter auf
der Bühne ist». «Wir wollen täglich alle testen.» Rund 2100
Oberammergauer und damit mehr als ein Drittel der gut 5000 Einwohner
wirken an der Aufführung mit, bis zu 800 sind bei den Volksszenen auf
der Bühne - eine logistische Herausforderung.

Wer nicht geimpft oder genesen ist, muss zweimal die Woche einen
PCR-Test vorlegen. Da die Gemeinde Arbeitgeber ist, gilt 3G. Stückl
warnt: «Ein falscher Impfpass wäre für mich ein Grund für den
sofortigen Ausschluss.» Das würde alle anderen gefährden - auf der
Bühne stehen auch einige Hochbetagte.

Nun wird an den Bühnenbildern gebaut. «Wir haben vor zwei Jahren
alles stehen und liegen gelassen, jetzt machen wir weiter», sagt
Stückl. Die Kostüme sind schon angepasst. «Wir haben in den letzten
Wochen das gesamte Volk eingekleidet.» Mancher sei schlanker
geworden, für andere musste die Schneiderei ein größeres Gewand
bereitstellen. «Es sind einige wirklich etwas fester geworden.» Es
ist nicht nur Corona-Speck: Jugendliche seien gewachsen, etwa die
Kaiphas-Diener, die nun junge Männer sind.

Die Passion geht auf ein Pest-Gelübde zurück. Die Oberammergauer
versprachen 1633, alle zehn Jahre die Passion aufzuführen, wenn
niemand mehr an der Seuche sterbe. Der Legende nach trat das ein.

Die Spiele sind für das oberbayerische Dorf ein enormer Kraftakt,
aber auch eine wichtige Einnahmequelle. Die Inszenierung kostet
Millionen. Allein die Gagen für die rund 2100 Mitspieler belaufen
sich für die rund fünfmonatige Spielzeit auf gut 20 Millionen Euro.

Eine Hürde könnte die derzeit noch geltende Regelung werden, nach der
in Theatern nur 25 Prozent der Plätze besetzt werden dürfen. 75
Prozent der Karten sind verkauft, ein Großteil müsste dann womöglich

zurückgegeben werden. Mit dieser Regelung sei die Passion nicht zu
machen, sagt Stückl. «Das rentiert sich nicht, das zahlt sich nicht.»