Kanzler oder Chaos: Schicksalswahl für Laschet und die Union Von Jörg Blank und Christoph Trost, dpa

In den Umfragen liegt die Union immer noch hinter der SPD. Doch
Kanzlerkandidat Laschet hat noch nicht aufgegeben. In CDU und
CSU kursieren Szenarien für den Wahlabend und die Tage danach.

Berlin (dpa) - Es ist eine Schicksalswahl für Armin Laschet und die
CDU. Liegt der CDU-Chef und Kanzlerkandidat mit der Union bei der
Bundestagswahl tatsächlich so weit hinter der SPD, wie sich in
Umfragen abzeichnet, könnte das Ende seiner langen politischen
Karriere schon an diesem Sonntagabend oder am Montag besiegelt sein.
Doch der oft unterschätzte NRW-Ministerpräsident setzt darauf, dass
die Union am Ende doch noch vor den Sozialdemokraten ins Ziel kommt.
Gelingt ihm das oder kann er zumindest ganz nah zur SPD aufschließen,
dürfte er zumindest Zeit gewonnen haben, heißt es in der Union. Das
Zauberwort für diesen Fall heißt: Machtoption.

Für Laschet geht es um alles oder nichts: Dass er sich als CDU-Chef
halten kann, wenn er das Projekt Machterhalt vergeigt und die Union
nach der Ära von 16 Jahren Angela Merkel aus dem Kanzleramt fliegt,
glauben etliche in der Unionsspitze nicht. Sollte bereits am Sonntag
klar sein, dass die Union in der Opposition landet, «werden schon am
Abend die Messer ausgepackt», erwartet ein erfahrener CDU-Mann. Soll
heißen: Dann könne Laschet womöglich sehr rasch gedrängt werden,
persönliche Konsequenzen zu ziehen und einen Rücktritt ankündigen.

Doch soweit ist es noch nicht. Zwar ist die erhoffte klare Trendwende
in den Umfragen ausgeblieben. Leicht nach oben gegangen sind die
Werte für die Union jüngst allerdings schon. «Ich bin der festen
Überzeugung, dass die Union diese Bundestagswahl gewinnen wird. Wir
befinden uns in einer Aufholjagd, und das Rennen ist offen wie nie
zuvor», gibt sich Laschet noch am Montag betont zuversichtlich.

Folgende Szenarien sind nach dem Wahlabend für die Union denkbar:

Laschet und die Union liegen weit hinter der SPD

Ein Rückzug als Parteichef wäre für Laschet wohl unausweichlich, wenn

die Union weit abgeschlagen hinter der SPD landet, glauben sie in der
Union. Verliert er krachend, wäre sein Ruf als oft unterschätzter
Kämpfer dahin. Mit seinen Erfolgen im Kampf um den CDU-Vorsitz und
gegen CSU-Chef Markus Söder um die Kanzlerkandidatur hatte er dieses
Bild Anfang des Jahres und im Frühjahr noch gefestigt.

Was nach einem Abschied von der Macht in der CDU folgen dürfte,
bezeichnen manche in der Union als Eruption, andere als Implosion der
bisherigen Parteiführung. Nach einem Rücktritt als CDU-Chef wäre fü
r
Laschet wohl auch der Rückweg als Regierungschef nach NRW
verschlossen, wo im Mai 2022 ein neuer Landtag gewählt wird, glauben
etliche in der Partei. Nicht nur, dass der 60-Jährige erklärt hat,
sein Platz sei künftig in Berlin. Mit einem Spitzenmann, der im Bund
gescheitert ist, werde auch die NRW-CDU kaum die Macht am Rhein
verteidigen können, heißt es zudem zur Begründung.

Wer dann der neue starke Mann an der CDU-Spitze sein würde, gilt als
offen. Nicht ausgeschlossen, dass der im Ringen um den Parteivorsitz
bereits zweimal gescheiterte Friedrich Merz einen neuen Anlauf nehmen
würde. Hinter vorgehaltener Hand heißt es aber auch, müsse die CDU in

die Opposition, sei ein Generationenwechsel unausweichlich. Dann
werden etwa die Namen Jens Spahn und Norbert Röttgen genannt. Beide
waren jeweils beim ersten Anlauf auf den Vorsitz gescheitert:
Gesundheitsminister Spahn gegen Annegret Kramp-Karrenbauer, der
Außenpolitiker Röttgen gegen Laschet.

Einen Machtkampf erwarten manche in der CDU auch um den
Fraktionsvorsitz - möglicherweise schon in der konstituierenden
Sitzung am kommenden Dienstag. In der Opposition wäre dieses Amt
eines der wichtigsten, das die Union zu besetzen hat. Der amtierende
Fraktionschef Ralph Brinkhaus hat bereits erklärt, er wolle gerne
weitermachen. Aber auch Spahn wird zugetraut, dass er nach dem
Fraktionsvorsitz greift.

Laschet und die Union liegen knapp hinter der SPD

Angesichts der Umfragewerte halten selbst erfahrene CDU-Strategen die
Wahrscheinlichkeit für größer, dass die SPD auch am Wahlabend vorne

liegt, als dass Laschet mit der Union doch die Nase vorne hat. Dann
werde Scholz mit den Sondierungen für eine Regierung unter seiner
Führung beginnen, mit Grünen und FDP über ein Ampel-Bündnis spreche
n,
und auch mit den Linken reden, erwarten sie in der Union. Gut möglich
sei aber, dass auch Laschet im Fall eines Wimpernschlag-Ergebnisses
mit Gesprächen beginne. Womöglich schon am Wahlabend könnte es
demnach ein Telefonat mit FDP-Chef Christian Lindner geben.

Doch Laschet müsste zunächst wohl erstmal abwarten, ob Scholz
tatsächlich ein Ampel-Bündnis schmiedet, oder ob er wie von der Union
an die Wand gemalt eine rot-rot-grüne Regierung bilden kann. Sollten
solche Verhandlungen am Ende scheitern, könne die Stunde Laschets
doch noch kommen, hoffen manche in der CDU. Seine Machtoption dürfte
dann in einem Jamaika-Bündnis mit Grünen und FDP liegen. Gut möglich,

dass Laschet in diesem Fall zum Fraktionsvorsitz greift, um sich ein
starkes Mandat für die Verhandlungen zu sichern.

Laschet und die Union liegen knapp vor der SPD

Dass die Union am Sonntag weit vor der SPD ins Ziel kommt, glaubt so
gut wie niemand bei den Konservativen. Doch würden CDU/CSU am Ende
auch nur knapp vor der SPD liegen, gilt dies für Laschet als
aussichtsreichste Variante, das Kanzleramt doch noch zu verteidigen.
Zwar wäre er mit einem Ergebnis von unter 30 Prozent immer noch für
das historisch schlechteste Unionsresultat bei einer Bundestagswahl
verantwortlich. Hat er aber eine Machtoption, dürften die zahlreichen
internen Kritiker zunächst stillhalten, glauben auch dem
Nordrhein-Westfalen nicht unbedingt wohl gesonnene Parteifreunde.

In der Union hat Laschet einen Ruf als erfahrener Verhandler, der in
NRW gezeigt hat, dass er mit der FDP als Juniorpartner auch per
Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag regieren kann. Lindner und die
FDP wollten zwar unbedingt regieren - aber am liebsten mit der Union,
hoffen sie in der CDU. Und auch die Grünen könnten sich womöglich
besser in einer Jamaika-Koalition profilieren, als in einer Regierung
mit SPD und Linkspartei, heißt eine Kalkulation in der Union.

Und was macht die CSU?

Klar ist: Sollte die Union die Wahl gewinnen, dürften CDU und CSU
gemeinsam feiern und zurückliegende Unstimmigkeiten oder den
Machtkampf um die K-Frage vergessen machen. Geht das Kanzleramt
dagegen verloren, könnte die Debatte, ob Söder nicht der bessere
Kanzlerkandidat gewesen wäre, aus der CSU heraus neu befeuert werden.
Der hat seine eigene, entscheidenden Bewährungsprobe so oder so noch
vor sich: Bei der Landtagswahl 2023 muss Söder ganz alleine liefern.