Ischgl-Prozess: Corona-Hinterbliebene wollen Gerechtigkeit statt Geld Albert Otti, dpa

Ischgl war für Party- und Pistenspaß bekannt - ein idealer Mix für
die Ausbreitung des Coronavirus. Nun entscheidet erstmals eine
Richterin, ob der Staat für die Ansteckungen gerade stehen muss.

Wien (dpa) - Es geht ihnen nicht um Geld. Zumindest nicht
hauptsächlich. Bei dem ersten Prozess um den Corona-Ausbruch im
Tiroler Skiort Ischgl machten Angehörige von Todesopfern am Freitag
im Wiener Landgericht klar, dass für sie Transparenz und
Verantwortung im Vordergrund stehen. Die Witwe und der Sohn eines an
Corona gestorbenen Österreichers, der sich bei der chaotischen
Abreise aus Ischgl angesteckt haben soll, fordern rund 100 000 Euro
Schadenersatz vom Staat. Das Urteil wird schriftlich ergehen.

«Mir geht es um Gerechtigkeit», betonte der Sohn am Rande des
Prozesses. «Falls es einen Schadenersatz gibt, werden wir das Geld
natürlich spenden», sagte er und verwies auf karitative
Organisationen. Sein 72-jähriger Vater starb im April 2020 mit einer
schweren Covid-19-Erkrankung, kurz nachdem er von einem Skiurlaub mit
Freunden aus dem Après-Ski-Paradies zurückgekehrt war.

Die Familie des Österreichers ist nicht die einzige, die auf
Schadenersatz klagt. Auch mindestens 15 andere Angehörige sind der
Ansicht, dass Österreichs Behörden im März 2020 zu spät auf die
ersten Infektionen in Ischgl reagierten, und dass die unkontrollierte
Massenabreise der Gäste zu weiteren Ansteckungen sowie zur
Verbreitung des Virus in Europa führte.

In den kommenden Wochen erwartet auch die Deutsche Dörte Sittig aus
der Nähe von Köln ihren Gerichtstermin in Wien. Schon am Freitag
beobachtete die Partnerin eines verstorbenen Wintersportlers vor Ort
den ersten Prozess. Sie wolle hauptsächlich ein Schuldeingeständnis
des Staats, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. «Ich erwarte
einfach, dass man sagt: Da haben wir nicht rechtzeitig reagiert.»

Doch davon waren die Rechtsvertreter Österreichs am Freitag weit
entfernt. Eine einvernehmliche Lösung, wie sie Klägeranwalt Alexander
Klauser vorschlug, lehnten sie ab. Die Republik vertritt die
Auffassung, dass Regierung und Behörden mit dem damaligem Wissen über
das Virus richtig handelten und die Klage deshalb grundlos ist.

Laut Klauser sind rund 11 000 Corona-Fälle in verschiedenen Ländern
auf Ischgl-Heimkehrer zurückzuführen. Behörden hätten aus
wirtschaftlichen Überlegungen keine ausreichenden
Gesundheitsmaßnahmen festgelegt. Außerdem habe Kanzler Sebastian Kurz
(ÖVP) am 13. März eine Quarantäne für Ischgl ohne Vorbereitungszeit

verkündet. Tausende Urlauber seien dadurch chaotisch und dicht an
dicht gedrängt geflohen. «Wer sich noch nicht in der Woche davor mit
dem Coronavirus infiziert hatte, infizierte sich jetzt in überfüllten
Pkws und Skibussen», sagte Klauser vor Journalisten.

Klauser forderte wissenschaftliche Gutachten und Behördenprotokolle.
Außerdem schlug er eine dreimonatige Pause des zivilrechtlichen
Prozesses vor. In dieser Zeit würde sich herausstellen, ob die
Staatsanwaltschaft Innsbruck wegen der Causa Ischgl strafrechtliche
Anklagen gegen Behördenvertreter erheben werde. Doch die Richterin
wies ihn ab. Da alle relevanten Informationen über das Handeln der
Behörden bekannt seien, schloss sie das Verfahren und kündigte ein
schriftliches Urteil an. Das könne mehrere Wochen dauern, sagte eine
Gerichtssprecherin.