«Fehler gemacht»: Berliner Senat stolpert kurz vor Wahl über 2G Von Stefan Kruse, dpa

Die neue Berliner Regelung für Zugangsrechte von Geimpften und
Genesenen bei Veranstaltungen oder in der Gastronomie ist noch keine
24 Stunden alt, da wird sie schon wieder geändert.

Berlin (dpa/bb) - Kaum entschieden, schon wieder kassiert: Eineinhalb
Wochen vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ist der rot-rot-
grüne Senat bei seiner Corona-Politik mächtig ins Stolpern geraten.
Nach breitem Protest vor allem aus den Koalitionsparteien selbst,
aber auch von Verbänden besserte er am Mittwoch das erst am Vortag
beschlossene 2G-Optionsmodell etwa für die Gastronomie oder
Veranstaltungen eilig um eine Ausnahme nach.

Neben Geimpften und Genesenen sollen nunmehr auch Kinder unter zwölf
Jahren Zugang zu Restaurants, Veranstaltungen, Sport- oder
Kulturevents haben, die diese 2G-Regel anwenden. Kinder ab sechs
Jahren müssen demnach einen negativen Corona-Test vorweisen, soweit
sie nicht im Rahmen des Schulbesuchs regelmäßig getestet werden. Das
kann etwa in den Ferien der Fall sein.

Gleichzeitig bleibt es dabei, dass Betreiber ab Samstag selbst
entscheiden können, ob sie den Zutritt zu ihren Innenräumen wie
bisher Geimpften, Genesenen und Getesteten (3G) erlauben oder nur
noch Geimpften und Genesenen (2G). Im letzteren Fall fällt die
Maskenpflicht weg und mehr Teilnehmer dürfen dabei sein, darunter
auch Kinder unter zwölf Jahren, für die es momentan kein Impfangebote
gibt. Für Menschen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft
werden können, gibt es hingegen keine Ausnahme.

Auch andere Bundesländer schwenken von der 3G- auf die 2G-Strategie
um - wohl nicht zuletzt, um den Druck auf ungeimpfte Menschen zu
erhöhen und den einen oder anderen doch noch dazu zu bringen, sich
immunisieren zu lassen. Allerdings wollte Berlins Senat zunächst
anders als etwa Hamburg, Rheinland-Pfalz und Brandenburg keine
Ausnahmen zulassen. Schließlich sei ja auch 3G möglich - und 2G mit
Ausnahmen sei faktisch 3G, argumentierte Gesundheitssenatorin Dilek
Kalayci (SPD) noch am Dienstag.

Dass dann aus der Koalition massive öffentliche Kritik am Senat
folgte und sich selbst Senatsmitglieder praktisch gegen das stellten,
was sie wenige Stunden zuvor mitgetragen hatten, ist ungewöhnlich.
Die SPD-Spitzenkandidatin für die Wahl zum Abgeordnetenhaus,
Franziska Giffey, forderte ebenso öffentlich Korrekturen wie ihre
Grünen-Konkurrentin Bettina Jarasch und Linke-Spitzenkandidat Klaus
Lederer sowie die Fraktionsspitzen von SPD und Grünen.

2G als Option sei im Prinzip okay, Kinder unter zwölf und ihre
Familien dürften dabei aber nicht massiv bei der Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben benachteiligt werden, argumentierten sie
unisono. Jarasch watschte Kalayci ab, die sich in dem Punkt
offensichtlich «verrannt» habe. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop übte

mit Blick auf die Sitzung am Dienstag Selbstkritik: «Gestern ist auch
mir ein Fehler unterlaufen. Ich habe versäumt auf Ausnahmen für
Kinder unter 12 Jahren bei der #2GRegel zu drängen», twitterte sie.

Aus Koalitionskreisen hieß es dazu, im Senat sei über das Thema nicht
formal abgestimmt worden. Vielmehr - und das sei bei vielen Themen
üblich - habe der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) die
Debatte in der Runde zusammengefasst, das sei mitgetragen worden. «Es
war klar, dass wir mit der Regelung verklagt werden», sagte ein
hochrangiger Vertreter der Koalition der Deutschen Presse-Agentur.
«Gut, dass nun nachgebessert wird.» Kalayci kommentierte die
Nachbesserung auf Twitter: «Wir haben heute das 2G-Optionsmodell
zugunsten der Kinder geöffnet. Die an uns herangetragenen Sorgen
haben wir damit sehr ernst genommen und zügig gehandelt.»

Für die Opposition dürfte das Schlingern des rot-rot-günen Senats
eine Steilvorlage im Wahlkampf sein. CDU-Spitzenkandidat und
-Landeschef Kai Wegner verlangte vom Senat augenzwinkernd eine
«1D2H-Regel» («Erst-Denken-Dann-Handeln»). «Die Schaffung eines
2G-Optionsmodells ist grundsätzlich wünschenswert, um das
Infektionsgeschehen weiter einzudämmen», fügte er hinzu.

Anders dagegen AfD-Fraktionschef Georg Pazderski: «Mit dem
2G-Optionsbeschluss vergibt der Senat erneut eine Chance, dass Berlin
zur Normalität zurückkehrt», erklärte er. «Den Preis zahlen die
Bürger der Stadt mit weiteren wirtschaftlichen Einschränkungen,
verwirrenden und komplizierten Regelungen sowie der damit verbundenen
anhaltenden Beschneidung ihrer Freiheit.»

Der FDP-Gesundheitsfachmann Florian Kluckert merkte an: «Wir können
einen Barbesitzer oder Restaurantbetreiber nicht daran hindern, nur
Geimpften und Genesenen den Zutritt zu gewähren.» Es sehe aber so
aus, als strebe der Senat eine «Impfpflicht durch die Hintertür» an.


Die Hoffnung in der Koalition ist, das unangenehme Thema wenige Tage
vor der Wahl am 26. September nun schnell abgeräumt zu haben, statt
noch lange und quälende Debatten zu führen. Was in Erinnerung bleibt,
ist die Senatsentscheidung mit der wohl kürzesten Lebensdauer in
dieser Legislaturperiode: ein 2G-Optionsmodell ohne Ausnahmen.