Die unglaubliche Geschichte von Ugur Sahin und Özlem Türeci Von Annett Stein, dpa

Hat es je ein Unternehmen gegeben, das in einem Jahr nur wenigen
Insidern bekannt war - und im nächsten der ganzen Welt? Den Gründern
von Biontech ist ein beispielloser Coup gelungen. Die Geschichte
dahinter wird nun in einem Buch erzählt, das tiefe Einblicke gewährt.

Hamburg (dpa) - Biontech. Dieses Unternehmen war den meisten Menschen
vor noch zwei Jahren ebenso wenig bekannt wie die Namen seiner
Gründer, Ugur Sahin und Özlem Türeci. Im Jahr 2014 habe Biontech noch

nicht einmal eine Webseite gehabt, erzählt der «Financial
Times»-Journalist Joe Miller in seinem unterstützt von Sahin und
Türeci entstandenen Buch «Projekt Lightspeed». Es zeichnet mit viel
internem Wissen die unglaubliche Erfolgsgeschichte eines
Forscherpaares nach, das seine Visionen mit großer Hartnäckigkeit und
immensem persönlichen Einsatz verfolgt.

Das Mainzer Unternehmen Biontech entwickelte die erste zugelassene
mRNA-Impfung gegen Covid-19. Joe Miller hat Ugur Sahin und Özlem
Türeci seit März 2020 begleitet und ergänzend mit mehr als 50
Wissenschaftlern, Politikern und Biontech-Mitarbeitern gesprochen.
Seine detailreichen Schilderungen veranschaulichen, wie dem kleinen
Unternehmen der große Coup gelingen konnte, in so kurzer Zeit einen
sehr gut wirksamen Impfstoff auf den Markt zu bringen.

Sahin und Türeci - ein Wissenschaftlerteam aus Ehefrau und Ehemann -
hätten schon lange fest daran geglaubt, dass sich auf Basis des
Erbgutmoleküls mRNA eine medizinische Revolution starten lassen
würde, schreibt Miller. «Allerdings hätten die beiden nie damit
gerechnet, dass ausgerechnet eine tödliche Pandemie ihre Theorie
bestätigen würde.»

Mit Hilfe von mRNA-Vakzinen die Scharfschützen des Immunsystems mit
einem spezifischen Fahndungssteckbrief etwa gegen Krebs versorgen,
das war der Plan des Forscherduos - die mit ihrer Begeisterung für
diesen Weg lange Teil einer sehr kleinen Gruppe waren. «Die
Leidenschaft der beiden wurde von einer breiteren wissenschaftlichen
Gemeinschaft nicht geteilt», schreibt Miller.

Aus dem Nischendasein waren weder Firma noch mRNA-Technologie heraus,
als irgendwann gegen Ende 2019 ein Virus seinen Siegeszug im Menschen
begann. Ugur Sahin war den Schilderungen zufolge einer der wenigen
Menschen weltweit, die sehr früh begriffen, dass sich ausgehend von
den ersten Fällen in China eine weltumspannende, todbringende
Pandemie aufbaute. Und sehr früh habe er gesagt: «Ich glaube, wir
können etwas dafür entwickeln.»

Am 24. Januar 2020 gab es weltweit weniger als 1000 bestätigte Fälle
der neuen Krankheit, wie es im Buch heißt. Am 25. Januar fassten
Sahin und Türeci demnach den Entschluss, einen Impfstoff dagegen
herzustellen. Am 26. Januar, einem Sonntag, hatte Sahin das Design
der ersten acht Impfstoffkandidaten ersonnen und die technischen
Konstruktionspläne für sie skizziert. «Projekt Lightspeed» nahm
seinen Lauf.

Noch nie war zu diesem Zeitpunkt ein mRNA-Medikament zur allgemeinen
Anwendung freigegeben worden. Und auch in vielerlei anderer Hinsicht
war Biontech der unwahrscheinlichste Kandidat für die Entwicklung
eines marktfähigen Corona-Impfstoffs. Ausführlich geht Miller auf die
vielen Hürden, Rückschläge und Probleme in jener Zeit ein und
erläutert, welche Personen im Unternehmen und anderswo jeweils
involviert waren.

Der Leser erfährt, wie Sahin und Türeci reagierten, als die
hervorragenden Daten der entscheidenden klinischen Studie eintrafen.
Am 9. November habe dann die ganze Welt davon erfahren. «Die Aktien
der Unternehmen schossen in die Höhe, und ihr Marktwert stieg um
Milliarden US-Dollar. Biontech wurde so wertvoll wie der 157 Jahre
alte Pharmariese Bayer, Produzent von Aspirin.»

Er selbst habe anfangs geglaubt, es habe einen besonderen Moment,
einen bestimmte medizinische Sternstunde geben müssen, die den
Biontech-Erfolg möglich gemacht habe, erzählt Joe Miller zum Schluss.
Doch dem sei nicht so: Eine Vielzahl von Teilen habe - zusammen mit
einer großen Portion Glück - das unglaubliche Ergebnis gebracht.

Eine Konstante, ein Geheimnis hinter dem Erfolg gebe es aber doch,
betont Miller: die Persönlichkeit der beiden Forschenden, ihre
schiere Willenskraft. Sahin und Türeci in Kombination seien ein
Magnetkern, «der auf höchst erstaunliche Weise Ideen und Menschen aus
aller Welt» anziehe. «Der entscheidende Wirkstoff hinter dem Vakzin
BNT162b2 war nicht die RNA: Es waren vielmehr Ugur Sahin und Özlem
Türeci.»