Versäumnisse in Corona-Krise? Verfahren gegen Pariser Ex-Ministerin

Hat Frankreichs Regierung die Corona-Pandemie unterschätzt und damit
Leben gefährdet? Um diese Frage geht es vor einem Pariser Gericht,
das nun ein Verfahren gegen die Ex-Gesundheitsministerin eingeleitet
hat. Anderen Politikern droht ebenfalls juristischer Ärger.

Paris (dpa) - Wegen möglicher Verfehlungen im Umgang mit der
Corona-Pandemie ist in Frankreich ein Ermittlungsverfahren gegen die
Ex-Gesundheitsministerin Agnès Buzyn eröffnet worden. Es bestehe der
Verdacht einer «Gefährdung des Lebens anderer», berichtete die
Nachrichtenagentur AFP am Freitagabend unter Berufung auf die
Staatsanwaltschaft am Gerichtshof der Republik. Buzyn, von Mai 2017
bis Februar 2020 Gesundheitsministerin unter Präsident Emmanuel
Macron, war am Freitag von Richtern des Gerichtshofs angehört worden.

Auch der aktuelle Gesundheitsminister Olivier Véran könnte im Zuge
der umfangreichen Ermittlungen demnächst geladen werden. Rund sieben
Monate vor der Präsidentenwahl in Frankreich dürfte das bei der
Regierungspartei La République en Marche, der sowohl Buzyn als auch
Véran angehören, für Unruhe sorgen.

Die Einleitung des Verfahrens gegen Buzyn bedeutet, dass die
Ermittler «schwerwiegende oder übereinstimmende Indizien» für ein
Fehlverhalten sehen. Das Verfahren kann am Ende zu einem Strafprozess
führen, falls die Ermittler ausreichend Beweise gegen die
Beschuldigte sehen. Andernfalls können sie das Verfahren auch wieder
einstellen.

Hintergrund sind Vorermittlungen nicht nur gegen Buzyn, sondern auch
gegen ihren Amtsnachfolger Véran und Ex-Premier Edouard Philippe, die
schon im Juli 2020 begonnen haben. Ihnen liegen Medienberichten
zufolge mehrere Klagen zugrunde, etwa von drei Ärzten, einer
Polizeigewerkschaft und Angehörigen eines an Covid-19 verstorbenen
Mannes. Die Vorwürfe betreffen unter anderem den Mangel an Masken und
anderer Schutzausrüstung zu Beginn der Pandemie.

Laut einem Bericht der Zeitung «Le Monde» geht es im Fall von Buzyn
auch um Aussagen, die sie am 24. Januar 2020 machte. Damals sagte
sie, das Risiko einer Ausbreitung des Coronavirus in der Bevölkerung
sei sehr gering. Einige Wochen später ruderte sie in einem Interview
mit der Zeitung zurück: «Man hätte alles stoppen müssen (...).» S
ie
habe den Präsidenten schon am 11. Januar über die Situation
informiert.

Im Oktober 2020 gab es in Zusammenhang mit den Ermittlungen schon
Hausdurchsuchungen bei Philippe, Véran und Buzyn selbst. Im Zuge der
umfangreichen Ermittlungen ist Buzyn die erste Person des
öffentlichen Lebens, gegen die nun ein formelles Verfahren
eingeleitet wurde. Der Gerichtshof der Republik ist das einzige
Gericht Frankreichs, das Mitglieder der Regierung wegen Straftaten
oder Verfehlungen im Zuge ihrer Amtsgeschäfte verurteilen kann.