Aus dem Leben geworfen - Reha für Menschen mit Long Covid Von Christina Sticht, dpa
Es ist eine neue Krankheit mit vielen Gesichtern: Mehr als 30
Symptome von Kurzatmigkeit über Schwindel bis zu massiven
Gedächtnisproblemen können auf Long Covid hinweisen. Viele Betroffene
leiden unter lähmender Müdigkeit.
Bad Rothenfelde (dpa) - Der 40-jährige IT-Spezialist aus Hamburg war
nie ein Mensch, der Angst vor Covid-19 hatte. «Wenn es mich trifft,
bleibe ich halt wie bei einer Grippe ein bis zwei Wochen im Bett», so
habe er gedacht. Nie zuvor habe er sich im Krankenhaus behandeln
lassen müssen, sagt der kräftige 1,90-Meter-Mann. Doch dann brachte
ihn eine Corona-Infektion Mitte Januar auf die Intensivstation, zwölf
Tage lang wurde er beatmet. Als er auf eine normale Station verlegt
wurde, applaudierten die Pflegekräfte. «Es ist so schön, dass du
nicht im Plastiksack rausgetragen wirst», habe ihm ein leitender
Pfleger gesagt.
Ende Februar wurde er aus dem Krankenhaus entlassen, völlig
entkräftet. Duschen, Essen kochen, Müll rausbringen war ohne Hilfe
nicht zu schaffen. «Nach den Treppen zu meiner Wohnung im zweiten
Stock lag ich mit Muskelschmerzen auf dem Sofa.» Es folgte ein
Aufenthalt in einer Lungenklinik. Fünf Monate später ist der
40-Jährige noch immer nicht arbeitsfähig. Dies soll sich im
Reha-Klinikum Bad Rothenfelde ändern, das ein spezielles
Behandlungskonzept für Long-Covid-Patienten entwickelt hat.
Bis zu 15 Prozent aller Covid-19-Erkrankten sind laut einer Mitte
Juli veröffentlichten Diagnose-Leitlinie vom Post-Covid-Syndrom
betroffen, das heißt sie haben mehr als drei Monate anhaltende
Beschwerden unterschiedlichster Art, etwa Kurzatmigkeit, Schwindel
oder Konzentrationsstörungen. Von Long Covid spricht man, wenn nach
einer überstandenen Infektion neue Symptome hinzukommen oder diese
länger als vier Wochen bestehen. Es gibt Studien, die auf einen noch
höheren Anteil von Patienten mit Langzeitfolgen hinweisen.
Der 40-jährige IT-Spezialist ist optimistisch, in absehbarer Zeit in
den Job zurückkehren zu können. Zum Glück habe er keine mentalen
Probleme, sagt er. Seine Ärzte hätten ihm Hoffnung gemacht, dass
seine Lunge in einem Jahr nur noch zu maximal fünf Prozent geschädigt
sein werde. Zur Reha in Bad Rothenfelde gehört
Kraft-Ausdauer-Training an Geräten, an diesem Tag gemeinsam mit
Reinhard Janzen (68) aus Dortmund. Stolz präsentiert Janzen sein
Therapieheft mit seit seiner Ankunft deutlich verbesserten Werten.
«Vor drei Wochen war von der Luft her an Ergometer-Training noch
nicht zu denken», sagt der pensionierte Landesbeamte.
Etwa 15 Long-Covid-Patienten werden in der Reha-Klinik der Deutschen
Rentenversicherung zeitgleich behandelt, inzwischen waren es seit der
Ankunft des ersten Betroffenen am 16. April 2020 insgesamt mehr als
130. Sehr viele leiden unter dem Chronischen Fatigue Syndrom (CFS),
einer ständigen Erschöpfung und fehlenden Belastbarkeit. Diese
schwere neuro-immunologische Erkrankung, die oft junge, zuvor völlig
gesunde Menschen trifft, war schon vor der Corona-Pandemie bekannt -
etwa nach einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus. Sie kann selbst
nach leichten Covid-19-Verläufen auftreten. Betroffene sind teilweise
so kraftlos, dass sie fast nur noch im Bett liegen.
«Die Menschen werden aus dem Leben geworfen», sagt Chefarzt Christoph
Preu. Nach der drei- bis vierwöchigen Reha seien von den bisher in
seiner Klinik behandelten Patienten nur 20 Prozent komplett
arbeitsfähig entlassen worden. Weitere 20 Prozent machten eine
stufenweise Wiedereingliederung in den Beruf. Wichtig sei, dass die
Betroffenen nach der Reha weiterhin eng betreut und unterstützt
würden, betont der Pneumologe. «Die Nachsorge muss gefördert werden.
»
Für eine flächendeckende Versorgung mit Post-Covid-Ambulanzen setzt
sich die Betroffenen-Initiative Long Covid Deutschland ein. «Diese
Erkrankung ist viel komplexer als noch vor einem Jahr angenommen
wurde», sagt ein Sprecher der Organisation. Bisher gebe es nur sehr
wenige Anlaufstellen mit einem interdisziplinären Ansatz. Junge
Menschen am Beginn ihres Berufslebens drohten in die
Erwerbsunfähigkeit zu rutschen. «Viele Betroffene arbeiten im
Gesundheitswesen, wo ohnehin schon jetzt chronischer Personalmangel
herrscht.» Die Bundesregierung müsse viel mehr Geld in die
Erforschung von postviraler Fatigue und Long Covid investieren, um
langfristigen Folgekosten für das Gesundheits- und Sozialsystem
vorzubeugen.
In Bad Rothenfelde hatte das Team aus Ärzten und Therapeuten die
Menschen mit Long Covid zu Beginn der Pandemie vor allem als
Lungenpatienten eingestuft. Als die psycho-mentalen Einschränkungen
immer deutlicher hervortraten, wurde das Behandlungskonzept Schritt
für Schritt erweitert. Bei der Neuaufnahme wird deshalb mittlerweile
unter anderem ein Hirnleistungstest gemacht.
Eine relative große Gruppe habe kognitive Beeinträchtigungen, sagt
der leitende Psychologe und Psychotherapeut Rudolf Schulte. «Manche
können sich nicht darauf konzentrieren, eine Spalte in der Zeitung zu
lesen oder einen Film anzuschauen.» Auch Wortfindungsstörungen und
Beeinträchtigungen des planerischen Handelns seien nicht selten. «Ein
Patient erzählte, dass er vor der Spülmaschine steht und nicht weiß,
wie er sie einräumen soll.»
Einmal in der Woche kommen die Long-Covid-Patienten in der Klinik zu
einem Gesprächskreis zusammen. Pensionär Janzen und der 40-jährige
IT-Fachmann waren nach dem ersten dieser Treffen erleichtert, dass
sie zwar geschädigte Lungen, aber immerhin keine Gedächtnis- oder
Konzentrationsstörungen haben. Beide wurden nicht intubiert, sondern
bei vollem Bewusstsein mit Masken beatmet.
Von den Covid-19-Patienten, die intubiert und ins künstliche Koma
versetzt wurden, starben in Deutschland zu Beginn der Pandemie 40 bis
50 Prozent. Überlebende können unter posttraumatischen
Belastungsstörungen leiden. Es gibt Betroffene mit Angehörigen, bei
denen die Infektion tödlich verlief. Sie machen sich Vorwürfe, weil
sie die Gestorbenen angesteckt haben könnten. Daher ist es sehr
wichtig, in der Reha die Psyche in den Blick zu nehmen.
«Die Betroffenen, die schwere Einschränkungen haben, haben Angst vor
der Zukunft», beobachtet Chefarzt Preu. Er habe aber die Hoffnung,
dass bei einem hohen Prozentsatz der Erkrankten die meisten
Beschwerden und Einschränkungen wieder verschwinden. «Doch das wird
Zeit brauchen, und es gibt keine Garantie.» Nicht alle
Covid-19-Kranken werden wieder vollständig gesund - in Einzelfällen
gab es bereits Lungentransplantationen.
Die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation (Degemed)
fordert ein Zugangsverfahren, über das Long-Covid-Patienten schnell
das für ihre individuellen Beschwerden passende Angebot bekommen.
Derzeit müssten Betroffene oft monatelang auf einen Reha-Platz
warten. Auch in Bad Rothenfelde ist die Nachfrage Preu zufolge groß,
etwa ein Drittel der Lungenstation sei mit Long-Covid-Patienten
belegt. Mehr geht nicht, denn es müssen weiterhin ebenfalls
schwerkranke Patienten mit chronischem Asthma, COPD oder Krebs
behandelt werden.
Auf dem Tisch in einem Gruppenraum der Klinik am Teutoburger Wald
stehen Rosen, Lavendel und Dosen etwa mit Pfefferminze und Limette.
«Wir bieten auch ein Geruchstraining an», sagt Oberärztin Ulrike
Schumann. «Es gibt zwar wenig wissenschaftliche Evidenz, aber für die
Patienten ist der Verlust des Geruchssinns eine wesentliche
Einschränkung der Lebensqualität.» Die Behandelnden lernen beinahe
täglich über das neue Krankheitsbild Long Covid dazu. Schumann sagt:
«In zehn Jahren werden wir mehr wissen, was Spätfolgen und
Therapiebedarf betrifft.»
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