«Impf-Feinschmecker» in Brasilien: Die Jagd nach dem liebsten Vakzin Von Martina Farmbauer, dpa

Auf dem Höhepunkt einer außer Kontrolle geratenen Corona-Pandemie
brach in Brasilien das Gesundheitssystem zusammen, Massengräber
wurden ausgehoben. Nun jagen Brasilianer ihrem bevorzugten Impfstoff
durch Metropolen wie Rio hinter - wichtige Städte kämpfen dagegen an.

Rio de Janeiro (dpa) - Nicht mit französischem Käse wird der Begriff
«Feinschmecker» in Brasilien derzeit in Verbindung gebracht, sondern
mit deutsch-amerikanischem Impfstoff. «Sommeliers de Vacina»
(Impfstoff-Sommeliers), wohl am ehesten mit «Impf-Feinschmecker»
übersetzt, werden diejenigen genannt, die sich aussuchen wollen,
welches Vakzin gegen das Coronavirus sie bekommen.

Der Impfstoff von Biontech/Pfizer ist am beliebtesten. Und die
brasilianischen «Impf-Feinschmecker» sind bereit, für ihren Favoriten

eine Menge zu tun. Sie jagen beispielsweise dem Impfstoff durch
Millionen-Metropolen wie Rio de Janeiro hinterher. Dabei nutzen sie
Telegram-Gruppen wie «Vacina Rio», Facebook-Gruppen wie «EU TOMEI A
VACINA DA PFIZER!!!» und Internetseiten wie «Onde Tem Vacina».

In diesen Gruppen tauschen sich Tausende Brasilianer aus, in welcher
Impfstelle an welchem Tag welcher Impfstoff verfügbar ist. Mitglieder
suchen vom frühen Morgen an die Posten ab und schicken Informationen
über die Länge der Schlangen, die «Marke» des Impfstoffs und geben

sich Unterstützung und Ratschläge - «Kommt her, auch wenn ihr weit
weg seid!». Über den Tag werden die Angaben aktualisiert.

Die häufigste Empfehlung lautet, Impfstellen zu bestimmten Uhrzeiten
auf die Ankunft von neuen Dosen zu überprüfen. Als sich herumspricht,
dass eine Lieferung von Biontech/Pfizer angekommen sei, spielt die
Gruppe verrückt. 5000 Nachrichten, wo diese Impfdosen gelandet sein
könnten, gibt es in kurzer Zeit. Ein Dutzend Mitglieder organisiert
sich schließlich, um nach Campo Grande im Westen Rios zu fahren.

Die «Impf-Feinschmecker» versuchen, Impfstoffe wie Astrazeneca und
Coronavac zu vermeiden. Dabei sind das die beiden Vakzine, die im
nationalen Impfplan Brasiliens am meisten vertreten sind. Die
Regierung schloss ein Abkommen mit dem Pharmaunternehmen Astrazeneca,
das bereits im Juni vergangenen Jahres seinen Impfstoff im größten
Land Lateinamerikas testete; inzwischen stellt die
Forschungseinrichtung «Fundação Oswaldo Cruz» in Rio das Vakzin
selbst her. Der Bundesstaat São Paulo kooperiert mit dem chinesischen
Pharmakonzern Sinovac, das «Instituto Butantan» produziert Coronavac.

Brasilien hat Erfahrung mit Gesundheitskrisen. 2019 wurden in drei
Monaten 80 Millionen Menschen gegen das Influenzavirus geimpft. Mit
«Impf-Feinschmeckern» in der Corona-Pandemie haben die Behörden
allerdings nicht gerechnet.

Bereitwillig gibt Maria da Silva über die Tipps und Tricks der
«Impf-Feinschmecker» Auskunft. «Warum soll ich Coronavac nehmen, wenn

ich Pfizer bekommen kann?», sagt sie. Mit richtigem Namen will die
Frau aber nicht genannt werden. Mitglieder von Telegram-Gruppen
verteidigen die freie Wahl eines Impfstoffes und verweisen auf die
Demokratie.

Behörden und Experten empfehlen, den verfügbaren Impfstoff zu nehmen,
um die Impfkampagne zu beschleunigen und die Immunität der
Bevölkerung zu erhöhen. «Impf-Feinschmecker zu sein bedeutet, dass
jemand immer noch nicht verstanden hat», sagt die Infektiologin Luana
Araújo. «Er sollte sich informieren, welche Zahlen wir haben, wieder
in die Schlange gehen, sich impfen lassen.»

Mehr als 20 Millionen Menschen haben sich in Brasilien - einem Land
mit 210 Millionen Einwohnern und 24 mal so groß wie Deutschland -
nach offiziellen Angaben mit dem Coronavirus infiziert, fast 563 000
Patienten sind im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben - mehr Tote
gibt es nur in den USA. Auf dem Höhepunkt einer außer Kontrolle
geratenen Corona-Pandemie brach im März und April das
Gesundheitssystem zusammen, Massengräber wurden ausgehoben.

Seit Beginn der landesweiten Impfkampagne im Januar sind nun fast 142
Millionen Impfdosen verabreicht worden. Etwa 40 Prozent der
erwachsenen Brasilianer haben eine erste Dosis bekommen, rund 17
Prozent sind vollständig geimpft.

Wegen fehlender Impfdosen muss die Impfkampagne immer wieder
ausgesetzt werden. Wenn Menschen sich dann noch den Impfstoff
aussuchen wollen und sich dabei auf einen einzigen Hersteller
fokussieren, wird das Impftempo weiter gebremst, so die Befürchtung.
Und das in einem Moment, in dem die Tendenz in mehreren Bundesstaaten
trotz Delta-Variante hin zu Öffnungsschritten wie Fußballspielen mit
Publikum und Festen mit mehreren Hunderten Gästen geht.

Immer mehr Städte und Gemeinden versuchen jetzt, die «Sommeliers de
Vacina» zu stoppen, Sao Paulo sogar per Gesetz. Sie setzen die
«Impf-Feinschmecker» an das Ende des Impfkalenders. Dieser Kalender
funktioniert in Rio so: Dem Alter entsprechend gibt es einen Tag, an
dem jemand an der Reihe ist. Den Ort der Impfung, für die nur eine
Identifikationsnummer nötig ist, kann man sich aussuchen.

Natürlich versuchen Menschen, die Behörden auszutricksen. Meistens
erkundigen sie gleich bei der Ankunft an einer Impfstation und noch
vor der Anmeldung, welcher Impfstoff dort verabreicht wird. Die
«Impf-Feinschmecker», die ihr bevorzugtes Vakzin bekommen, teilen das
auch bei Telegram mit: «Einmal mehr danke an die Gruppe, die mir
heute sehr geholfen hat. Schutz, Gesundheit und Frieden für alle.»

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