BGH schützt Pflegebedürftige vor Reservierungsgebühr im Heim Von Anja Semmelroch, dpa

Auf die Schnelle einen Platz im Pflegeheim zu finden, ist nicht
leicht. Betroffenenvertreter kritisieren, dass sich etliche Betreiber
die Reservierung bezahlen lassen. Jetzt setzt ein Urteil der Praxis
ein Ende. Wer schon gezahlt hat, könnte rückwirkend profitieren.

Karlsruhe (dpa) - Pflegebedürftige und deren Angehörige dürfen
künftig nicht mehr für die Reservierung eines Heimplatzes zur Kasse
gebeten werden. Eine Platz- oder Reservierungsgebühr für die Zeit bis
zum Einzug sei unvereinbar mit den gesetzlichen Vorschriften,
urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Donnerstag.
Entsprechende Vereinbarungen seien daher unwirksam. Die Entscheidung
hat Geltung für alle Heimbewohnerinnen und -bewohner, egal ob
gesetzlich oder privat pflichtversichert. (Az. III ZR 225/20)

Die Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen
(Biva-Pflegeschutzbund), die das Urteil mit erstritten hat, schätzt,
dass davon Zehntausende Verträge betroffen seien. Freihaltegebühren
seien gang und gäbe, sagte der Vorsitzende Manfred Stegger in
Karlsruhe. Er geht davon aus, dass Betroffene, die in den vergangenen
drei Jahren eine solche Gebühr bezahlt haben, das Geld nun vom Heim
zurückfordern können. Ihre Ansprüche seien noch nicht verjährt.

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz nimmt an, dass zu Unrecht
gezahlte Gebühren zurückgefordert werden können. Vorstand Eugen
Brysch nannte das Urteil «richtig und wichtig».

Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), der nach
eigenen Angaben mehr als ein Drittel der Pflegeeinrichtungen in
Deutschland vertritt, teilte hingegen auf Anfrage mit: «Uns ist nicht
ein einziger Heimvertrag bekannt, der eine solche Regelung enthalten
würde.» Zu möglichen Rückforderungen und den finanziellen
Auswirkungen für die Heime äußerte er sich nicht.

Im konkreten Fall ging es um eine privatversicherte Frau, die Ende
Februar 2016 von einem Heim in ein anderes umgezogen war. Für die
zwei Wochen zwischen Vertragsschluss und Einzug verlangte das neue
Heim bereits 75 Prozent der eigentlichen Kosten, knapp 1130 Euro. Der
Sohn hatte erst gezahlt, später forderte er das Geld zurück.

Die obersten Zivilrichter des BGH gehen davon aus, dass gesetzlich
Versicherte grundsätzlich nur für die Tage bezahlen müssen, die sie
auch tatsächlich im Heim verbringen. So steht es im Elften Buch des
Sozialgesetzbuchs. «Diese Bestimmung ist zwingendes Recht», sagte der
Senatsvorsitzende Ulrich Herrmann. Nach Auffassung der Richter gilt
sie genauso für Privatversicherte. Anderenfalls käme es «zu einer
kaum nachvollziehbaren Ungleichbehandlung», hieß es.

Nach Steggers Erfahrungen werden bisher aber zum Teil auch gesetzlich
Versicherte zur Kasse gebeten. Er begrüßte deshalb die Klarstellung
auch in diesem Punkt. «Jemand, der einen Platz sucht, der ist in
großer Notlage und akzeptiert auch Bedingungen, die er vielleicht
nicht so besonders gut findet», sagte er. Es sei nicht richtig, wenn
Heime das ausnutzten - zumal in den Sätzen, die von allen Bewohnern
verlangt würden, ein gewisser Leerstand bereits einkalkuliert sei.

Auch der BGH sieht die Gefahr, dass doppelt kassiert wird. Das Heim
sei deshalb verpflichtet, die Gebühr komplett zu erstatten.

Trotzdem muss der Fall erneut am Kölner Landgericht verhandelt
werden. Denn die Frau ist inzwischen gestorben, geklagt hatte der
Sohn. Und im Prozess wurde bisher nicht geklärt, ob er allein
klageberechtigt ist oder ob es womöglich noch andere Erben gibt. Das
muss jetzt nachgeholt werden. In seiner ersten Entscheidung hatte das
Landgericht dem Mann nur rund 210 Euro zugesprochen.

Laut Bundesgesundheitsministerium waren Ende 2019 rund 9,22 Millionen
Menschen privat pflegeversichert. Dem stehen rund 73,47 Millionen
gesetzlich Versicherte gegenüber (Stand Ende 2020). Die private
Pflegeversicherung richtet sich an privat Krankenversicherte, der
Abschluss ist verpflichtend. Wie bei der Krankenversicherung
funktioniert das System so, dass der Versicherte zunächst selbst
zahlt und sich das Geld anschließend erstatten lässt.