Fragen, Hoffnung und Enttäuschung - Hessen lockert Corona-Regeln

Die niedrigen Fallzahlen ermöglichen mehr Freiheiten in der Pandemie.
Doch bei der praktischen Umsetzung gibt es noch einigen
Klärungsbedarf. Ebenso wie Bedenken und heftige Kritik.

Wiesbaden (dpa/lhe) - Tanzen und Gemeindegesang sind wieder möglich,
die Masken im Unterricht fallen: Angesichts niedriger
Corona-Infektionszahlen hat Hessen viele Beschränkungen des Alltags
gelockert. Die Erleichterungen betreffen seit Freitag private
Kontakte, Handel und Gastronomie, die Schulen, Discos und die
Kirchen. Selbst Bordelle dürfen unter Auflagen öffnen. Bei der
Umsetzung der neuen Freiheiten bleiben aber noch Fragen offen. Ein
Überblick:

SCHULEN: Die Maskenpflicht im Unterricht ist erstmal Geschichte. Die
Gewerkschaft GEW sieht das kritisch. Die wenigen Wochen bis zu den
Sommerferien hätte noch die bisherige Regelung weiter gelten sollen,
sagte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
(GEW), Birgit Koch. Durch die Rückkehr zum Präsenzunterricht seien
die Klassen wieder voll. Damit könne nicht mehr viel Abstand
eingehalten werden. Dazu komme die zunehmende Ausbreitung der
Corona-Variante Delta.

Das Kultusministerium müsse die Sommerferien nutzen, um Vorsorge für
den Herbst und Winter zu treffen, mahnte die GEW-Chefin. Es solle
ausreichend Geld investiert werden, um die Schulen etwa mit
Luftfiltern auszustatten. Nach der neuen Corona-Verordnung des Landes
gilt unter anderem Präsenzunterricht für alle Klassen. Eine Maske
soll in Schulgebäuden und Klassenzimmern bis zum Sitzplatz getragen
werden, nicht aber im Unterricht.

KIRCHEN: Bei Gottesdiensten ist der Gemeindegesang auch in
Innenräumen wieder erlaubt. Wie mit dieser Möglichkeit umgegangen und
den potenziellen Infektionsgefahren begegnet wird, liegt laut eines
Regierungssprechers «in der primären Verantwortung der Kirchen und
Religionsgemeinschaften». Diese sollen sich dabei an den
entsprechenden Empfehlungen orientieren.

Die Lockerungen seien grundsätzlich zu begrüßen, sagte Volker Rahn,
Sprecher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN).
Allerdings bedeuteten diese auch eine «riesige Herausforderung» für
die eigenverantwortlichen Gemeinden, sagte er insbesondere mit Blick
auf das Thema Gesang. Der Krisenstab der EKHN wolle daher in
Abstimmung mit den anderen hessischen Kirchen in der kommenden Woche
Leitlinien erarbeiten, um den Umgang mit den Lockerungen vor Ort zu
erleichtern.

Das Bistum Limburg empfiehlt ihren hessischen Gemeinden, den
gemeinsamen Gesang «behutsam wieder aufzunehmen», sagte Sprecher
Stephan Schnelle. «Es müssen ja nicht immer alle Strophen gesungen
werden», nannte er als Beispiel. Die Pandemie sei noch nicht vorbei.

CLUBS UND DISKOTHEKEN dürfen Gäste im Außenbereich mit Auflagen
empfangen. Die Öffnung der Innenbereiche von Bars und Gastronomie ist
erlaubt, nicht aber für Tanzveranstaltungen. Die zunächst geweckten
Erwartungen seien «maßlos enttäuscht» worden, kritisiert das Netzwe
rk
«Clubs am Main». Es gälten völlig überzogene Kapazitätsbeschr
änkungen
von einer Person pro zehn Quadratmeter. Auch müssten Mindestabstände
eingehalten werden. Ein wirtschaftlicher Betrieb für Clubs sei so
nicht möglich, die im Sommer so beliebten Musikfestivals fehlten gar
gänzlich in der Verordnung. Das Netzwerk rief Festivals und Clubs zur
juristischen Prüfung auf.

TANZSCHULEN: Auch sie hoffen auf mehr Freiräume, wissen aber noch
nicht so recht, was die Lockerungen für sie bedeuten. «Wir warten auf
die Auslegungshinweise», sagte Uwe Mundt, Inhaber einer Tanzschule in
Langen, für den Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband (ADTV). Die
neue Verordnung sei zu abstrakt und zu allgemein, um daraus etwa
abzuleiten, wie viele Teilnehmer die Kurse besuchen dürfen. Die
Tanzschule Mundt empfängt aktuell zehn Teilnehmer pro Kurs, die in
festen Paaren tanzen. Bälle und Parties sind aktuell nicht geplant.

Die meisten Schulen hätten im Juni wieder mit regulärem Unterricht
«in kleinen Gruppen» angefangen, berichtete Ute Berné, die eine
Tanzschule in Hanau betreibt, für den Berufsverband Deutscher
Tanzlehrer (BDT). Sie hofft, dass es mit der neuen Verordnung möglich
wird, wieder mehr Angebote zu machen. Die Nachfrage sei da: «Die
Leute sind ausgehungert, die brennen darauf, sich zu bewegen.»

SÄNGER: «Nach den bisherigen Informationen ändert sich für uns so g
ut
wie gar nichts», sagte Josy Ehret vom Hessischen Sängerbund in
Oberursel. Zwar dürften sich mehr Menschen treffen, aber wegen des
weiter geltenden Mindestabstands komme es schnell zu räumlichen
Grenzen. «Selbst wenn nur zehn Leute zusammen singen, braucht man
schon viel Platz.» Seit Ende Mai dürften die Sänger wieder proben.
Das sei für Chöre oder Orchester zwar in Innenräumen - mit Auflagen -

möglich, teilte das hessische Kunstministerium mit. «Chorsingen im
Freien sollte aber weiterhin bevorzugt werden, weil das Risiko für
Infektionen dort geringer ist als in Innenräumen.»

BORDELLE: Nadine Maletzki, Betreiberin des Laufhauses «Sex Inn» im
Frankfurter Bahnhofsviertel, hat gleich nach der Bekanntgabe der
Öffnungsgenehmigung Getränke bestellt, nun lässt sie die bereits
georderten Desinfektionsspender am Eingang und in allen Zimmern
aufstellen. «Ich bin seit Monaten bereit, wieder zu öffnen - jetzt
warte ich nur auf die konkreten Auflagen, etwa wie genau die
Kontaktdatenerfassung erfolgen soll», berichtete sie.

Die Kundennachfrage sei da: «Das Telefon geht schon seit einer Woche
in einer Tour mit Fragen, wann wir wieder öffnen.» Die offene Frage
sei allerdings, wie viele Frauen bereits wieder ihre Zimmer beziehen,
denn einige seien während des Lockdowns in ihre Heimatländer
zurückgekehrt und hätten nun keine gültige Aufenthaltserlaubnis mehr.

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