Vom Querkopf zum «Querdenker»? - Van Morrisons Lockdown-Wut Von Werner Herpell, dpa
Der Zorn über den Corona-Lockdown ist groß bei Van Morrison, und das
schlägt auch auf die Texte seines neuen Albums durch. Der nordirische
Sänger teilt kräftig aus - und muss viel einstecken. Unantastbar
bleibt immerhin seine legendäre Blues- und Soul-Stimme.
Berlin (dpa) - Als grantelnder Querkopf galt Van Morrison schon
lange. Dass der Sänger und Songwriter - zweifellos einer der besten
der Pop-Geschichte - auf seine alten Tage wütenden «Querdenkern»
Munition liefern würde, war dann aber doch nicht unbedingt zu
erwarten. Die in Lieder gegossenen Tiraden des nordirischen «Sir Van»
gegen Einschränkungen durch die britische Corona-Politik fielen im
Herbst derbe aus. Die Kritik am selbst bereits 75 Jahre alten
Morrison (Covid-19-Hochrisikogruppe!) war kaum weniger giftig.
Dieser Eindruck schwingt mit, wenn man nun seine neueste Musik hört:
Morrison liefert zwar einige schöne Balladen, feine Swing-Schleicher
und solide Grooves ab - doch vor allem motzt er auch weiterhin gern
herum (immerhin mit nach wie vor ehrfurchtgebietender Stimme). Schwer
zu sagen, ob sich sein nach Label-Zählung 42. Album auf Dauer
unvorbelastet hören lässt. Zumal es einige Songtitel mit
Verschwörungstheorie-Alarm enthält: «Big Lie», «Stop Bitching, Do
Something», «Deadbeat Saturday Night» oder «They Own The Media».
Zunächst aber Respekt: «Latest Record Project: Volume 1» ist selbst
für einen überaus fleißigen Künstler wie Morrison ein beeindruckend
er
Kraftakt. 28 (!) meist eigene neue Stücke des Grammy-Gewinners sind
zu hören, die mit ihrer perfekt arrangierten Mixtur aus Folk, Rock,
Blues, Soul, Sixties-Beat und Jazz wie ein Querschnitt dieser über
50-jährigen Karriere klingen. Fast 130 Minuten Gesamtlaufzeit sind
freilich ein bisschen viel des Guten nach fünf Studioalben in kurzer
Folge seit dem herausragenden Alterswerk «Keep Me Singing» von 2016.
Während also dieses neue Album musikalisch zeitlos-gediegen und sehr
vielfältig daherkommt, trägt der im Corona-Lockdown gefangene Van
Morrison in manchen Texten seinen Groll wenig subtil vor sich her. Wo
all die Rebellen geblieben seien, sinniert er anfangs noch wehmütig
(«Where Have All The Rebels Gone?»), dann beklagt er teuflischen
Druck («Diabolic Pressure»), und am Schluss fragt er ganz direkt, was
das mit den Sozialen Medien soll («Why Are You On Facebook?»).
Nach einigen altersmilden Platten, zu denen der Medienverächter
Morrison sogar freundliche Interviews gab, entlädt sich auf dem
«Latest Record Project», in den drei Anti-Lockdown-Liedern vom Herbst
und einer ähnlich provokativen Kooperation mit Eric Clapton («Stand
And Deliver») viel Unmut. «Ich sage den Menschen nicht, was sie tun
oder denken sollen, darin leistet die Regierung bereits gute Arbeit»,
erklärte der Musiker sarkastisch auf seiner Internetseite. «Es geht
mir um die Entscheidungsfreiheit - ich denke, die Menschen sollten
das Recht haben, sich ihre eigenen Gedanken zu machen.»
In dem vor einigen Monaten nur digital veröffentlichten Streuschuss
mit den Liedern «No More Lockdown» und «As I Walked Out» hatte
Morrison seine Ablehnung strenger Corona-Maßnahmen noch drastischer
formuliert: «No more taking our freedom/and our God-given
rights/pretending it's for our safety/when it's really to enslave».
Dass die Regierung die Freiheit bedrohe, das Volk belüge und
versklave - starker Tobak. In einem anderen Protestsong («Born To Be
Free») verwies Morrison warnend auf die Berliner Mauer.
Seine durchaus berechtigte Sorge, dass sich die Livemusik-Szene nie
wieder von den Pandemie-Restriktionen erholt und viele Konzerthallen
für immer schließen müssen, ging in dem Tumult fast unter. Hängen
blieb bis heute indes, was der Morrison-Kritiker David C. Thompson im
Oktober bitter entgegnete: «Offensichtlich wurde niemand, den er
kennt, vom Coronavirus-Ausbruch in Mitleidenschaft gezogen. Schön für
ihn - ich habe meinen Bruder verloren.»
Der nordirische Gesundheitsminister Robin Swann sagte dem «Rolling
Stone» über das Pop-Idol seines britischen Inselteils: «Wir hätten
etwas Besseres von ihm erwartet. (...) Einiges von dem, was er sagt,
ist echt gefährlich. Es könnte Leute dazu bringen, Corona nicht ernst
zu nehmen.» Das sei alles bizarr und unverantwortlich. In Anspielung
auf einen berühmten Morrison-Plattentitel («No Guru, No Method, No
Teacher» von 1986) fügte Swann hinzu: «He's no guru, no teacher.»
Zurück zum neuen Album, das immerhin bewährte Morrison-Qualität in
punkto Gesang und Produktionskunst aufweist. Den ursprünglichen Plan,
mit 75 nochmal etwas Neues zu wagen, hatte der Musiker so formuliert:
«Ich entferne mich von den gefühlt immer gleichen Songs, den immer
gleichen Alben: Dieser Typ hat 500 Songs gemacht, vielleicht mehr,
also warum geht es immer nur um dieselben zehn? Es ist der Versuch,
aus dieser Box herauszukommen.»
Dass «Van The Man» an diesem hehren Anspruch auf «Latest Record
Project: Volume 1» musikalisch ehrenvoll scheitert, dürften ihm seine
Fans weniger verübeln als irritierende textliche Wutausbrüche.
Vielleicht gelingt ihm demnächst mit «Volume 2» ein echter später
Triumph. Es muss in den künftigen Liedern ja nicht wieder um
Pandemie-Politik gehen.
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