«Geht nicht ohne Blut aus» - Prozess um Attacke bei Corona-Demo Von Nico Pointner, dpa
Drei Männer treffen sich, wollen auf eine Demo gehen. Plötzlich
stürzen sich Dutzende Vermummte auf sie. Der Angriff dauert nur
Sekunden, dann liegen sie auf dem Boden, teils lebensgefährlich
verletzt. Was steckt hinter der Attacke?
Stuttgart (dpa/lsw) - Dass es bei diesem Prozess um mehr geht als um
einen brutalen Angriff am Rande einer Demo, um mehr als «nur» um
Körperverletzung und versuchten Totschlag, das spürt man schon vor
dem Gerichtsgebäude. Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart haben sich
am frühen Montagmorgen Dutzende Vermummte versammelt, ihre Schals,
Masken und Kapuzenpullis tief ins Gesicht gezogen. «Gegen Nazis»
steht auf ihrem knallrotem Banner, darauf eine Faust, die ein
Hakenkreuz zerschlägt. Die Antifa ist aufmarschiert. Ein paar Meter
weiter stehen ein paar Vertreter der rechtspopulistischen
gewerkschaftsähnlichen Organisation «Zentrum Automobil». Die Lage ist
angespannt. Dazwischen ein älterer, etwas verwirrt wirkender Herr,
der sich als Papst verkleidet hat und schreit: «Gottlose Querdenker
sind Querschläger, Amen».
Zwei junge Männer, die der linken Szene zugerechnet werden, sitzen in
Stuttgart auf der Anklagebank, weil sie gemeinsam mit einer Gruppe
Vermummter am 16. Mai 2020 drei Männer brutal zusammengeschlagen
haben sollen. Einem Angeklagten wird gefährliche Körperverletzung
vorgeworfen, dem anderen gar versuchter Totschlag, weil er seinem
Opfer gegen den Kopf geschlagen und dessen Tod zumindest billigend in
Kauf genommen haben soll - der Mann lag im Koma, schwebte zeitweise
in Lebensgefahr.
Es geht hier um politische Gewalt. Die sei nicht schön, aber manchmal
notwendig, sagt der Sprecher der antifaschistischen
«Solidaritätskampagne» vor dem Gericht. «Da wurden nicht irgendwelc
he
Leute angegriffen.»
Es sind beängstigende Szenen, die da am Montag von der Anklage
geschildert werden. Die drei Männer trafen sich demnach am
Stuttgarter Mercedes-Benz-Museum, um gemeinsam zum Gelände des
Cannstatter Wasens zu laufen. Sie arbeiten bei Daimler, sind
Betriebsrats-Mitglieder vom «Zentrum Automobil», bezeichnen sich
selbst als «alternative Gewerkschaft». Sie sollen Berichten zufolge
enge Kontakte zur rechtsextremen Szene haben. Das Trio wollte an dem
Tag im Mai gegen die Corona-Regeln demonstrieren, die
«Querdenken»-Bewegung war damals im Aufwind, Tausende nahmen teil. Er
lebe eben nicht gerne in einer Diktatur, sagt einer der Verprügelten,
der als Nebenkläger im Prozess sitzt.
Plötzlich biegen 20 bis 40 Vermummte um die Ecke. Sie tragen
Sturmmasken und Schals, sind mit Schlagringen und Flaschen bewaffnet,
wie die Staatsanwaltschaft berichtet. Der schwarze Block rennt auf
die drei Männer zu, prügelt sie zu Boden. Pfefferspray wird
versprüht, Schläge und Tritte gegen den Kopf ausgeteilt, Flaschen
sollen fliegen, ein Mann berichtet von einem dumpfen Knall. Dann
verschwinden die Vermummten wieder. Alles geht ganz schnell.
Die Angreifer seien als Gruppe vorgegangen, um so die Identifikation
Einzelner zu erschweren und um Dritte einzuschüchtern, sagt die
Staatsanwältin. Was genau passiert ist, lässt sich am Dienstag auch
nur mühsam rekonstruieren. Zunächst sagt ein 46-Jähriger aus
Esslingen aus, einer der drei Männer, die verprügelt und verletzt
wurden. Der Mann trägt ein blaues T-Shirt mit einem Wolf und einem
Mond darauf. Er spricht immer wieder von den «linken Antifaschisten»,
die seien «im Stechschritt formiert» auf ihn zugekommen. «Da war mir
klar, das geht nicht ohne Blut aus.» Er sei weggerannt, aber sie
hätten ihn erwischt, ihn gegen den Kopf geschlagen, Pfefferspray habe
man ihm in die Augen gesprüht. «Das war ein gezielter Angriff», ist
er überzeugt. Er gibt der «IG-Metall-Riege» die Schuld, die steckten
mit der Antifa unter einer Decke.
Der Angriff hatte auch politisch für Aufregung gesorgt. Allerdings
lehnten Grüne, CDU, SPD und FDP im vergangenen Sommer einen von der
AfD beantragten Untersuchungsausschuss zum Angriff deutlich ab.
Anfang Juli hatten die Ermittler bei Razzien in sieben Städten Zimmer
und Wohnungen von Anhängern der linken Szene durchsucht.
Eigentlich sollte der Prozess bereits vor einer Woche beginnen, wegen
eines Corona-Ausbruchs in der JVA Stuttgart konnte der Angeklagte
nicht erscheinen. Die beiden Angeklagten weisen die Vorwürfe zurück,
wollen aber sonst keine Angaben machen. Der eine sitzt noch in Haft.
Als er in den Saal geführt wird, macht er ein «Victory-Zeichen» mit
der Hand und lächelt. Der andere ist nach einem halben Jahr in
Untersuchungshaft wieder auf freiem Fuß. Es könnten nicht die letzten
sein. Laut Staatsanwaltschaft gibt es weitere Täter, gegen die
ermittelt wird.
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