Wenn ein Mensch sterben will - Bundestag berät über Suizidhilfe Von Ulrich Steinkohl, dpa
Es soll eine erste Orientierung sein: Mit einer zweistündigen Debatte
beginnt der Bundestag Beratungen über neue Regeln für die
Sterbehilfe. Die alten hat das Bundesverfassungsgericht für nichtig
erklärt. Was soll an ihre Stelle treten?
Berlin (dpa) - Die Legislaturperiode ist fast vorüber, da wendet sich
der Bundestag am Mittwoch noch einem besonders sensiblen Thema zu -
der Neuregelung der Sterbehilfe. Wie umgehen mit dem Suizidwillen von
Menschen und mit der Unterstützung Dritter dabei? Die Abgeordneten
ließen sich reichlich Zeit mit dieser Frage. Denn das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts, das diese Neuregelung erforderlich macht,
ist bereits gut ein Jahr alt.
DIE AUSGANGSLAGE
Am 26. Februar vergangenen Jahres verkündete Karlsruhe ein Urteil von
enormer gesellschaftlicher Tragweite und ethischer Brisanz. Das
höchste deutsche Gericht kippte das seit Dezember 2015 bestehende
Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe und erklärte den entsprechenden
Strafrechtsparagrafen 217 für nichtig. Grund sei, dass er «die
Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend
entleert». Dabei hat «geschäftsmäßig» nichts mit Geld zu tun, s
ondern
bedeutet «auf Wiederholung angelegt». Aktive Sterbehilfe - also
Tötung auf Verlangen, etwa durch eine Spritze - blieb verboten.
Ein Leitgedanke des Grundsatzurteils: «Das allgemeine
Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein
Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die
Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu
suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.» Das
gilt ausdrücklich für jeden Menschen, nicht nur für unheilbar
Kranke.(Az. 2 BvR 2347/15 u.a.).
DIE NEUREGELUNG
Bislang liegen drei Gruppenanträge für eine Neuregelung vor. Diese
unterscheiden sich vom Ansatz her teils deutlich.
ANTRAG I
Eine Gruppe um den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und seine
FDP-Kollegin Katrin Helling-Plahr hat den Entwurf für ein «Gesetz zur
Regelung der Suizidhilfe» vorgelegt. Dieser formuliert
«Voraussetzungen, damit sich Menschen zukünftig einer Begleitung bis
zum Lebensende sicher sein können und auch Zugang zu Medikamenten zur
Selbsttötung erhalten», wie es im Text heißt. Grundvoraussetzung ist
ein «autonom gebildeter, freier Wille» des Sterbewilligen. Der
Entschluss zur Selbsttötung muss ohne unzulässige Einflussnahme oder
Druck gebildet worden sein.
Ein suizidwilliger Mensch muss beraten und dabei auch über
Handlungsalternativen aufgeklärt werden. Die Länder müssen ein
ausreichend plurales Angebot an wohnortnahen Beratungsstellen
sicherstellen. Ein Arzt darf bei Erfüllung der Voraussetzungen ein
Arzneimittel zum Zwecke der Selbsttötung verschreiben. Er ist
verpflichtet, den Betroffenen mündlich und in verständlicher Form
über sämtliche Umstände einschließlich Behandlungsmöglichkeiten u
nd
Möglichkeiten der Palliativmedizin aufzuklären.
ANTRAG II
Eine Gruppe um den Abgeordneten Ansgar Heveling und den früheren
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (beide CDU) will festlegen,
dass die geschäftsmäßige Suizidhilfe grundsätzlich strafbar sein
soll, um die Autonomie der Entscheidung über die Beendigung des
eigenen Lebens vor inneren und äußeren Einwirkungen wirksam zu
schützen. Nur unter sehr speziellen Voraussetzungen soll sie nicht
unrechtmäßig sein. Dies ist notwendig, um die Umsetzung einer
freiverantwortlichen Suizidentscheidung und die Inanspruchnahme der
Hilfe Dritter nicht faktisch unmöglich zu machen.
Um festzustellen, ob ein Suizidentschluss wirklich in freier
Verantwortung getroffen wurde, sollen grundsätzlich mindestens zwei
Untersuchungen mit hinreichendem Abstand durch einen Facharzt oder
eine Fachärztin für Psychiatrie Vorschrift sein. Auch eine Beratung,
die individuelle Hilfeangebote eröffnet, soll es geben. Eine
Suizidhilfe für Minderjährige soll ausgeschlossen sein.
ANTRAG III
Die Grünen-Abgeordneten Renate Künast und Katja Keul legten einen
Entwurf für ein «Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes
Sterben» vor. Er sieht vor, den Betroffenen einen klaren Zugang zu
Betäubungsmitteln zu eröffnen, die zur Verwirklichung ihres
Suizidwunsches nötig sind. Dabei wird unterschieden, ob diese ihren
Tod wegen einer schweren Krankheit oder aus anderen Gründen
anstreben. Im ersteren Fall soll den Ärzten eine entscheidende Rolle
bei der Prüfung zukommen, ob das Hilfsmittel zur Verfügung gestellt
wird. Im letzteren Fall soll es höhere Anforderungen geben, etwa eine
Dokumentation der Dauerhaftigkeit eines selbstbestimmten Entschlusses
zum Suizid. Der Ärzteschaft hat hier keine zentrale Rolle.
Sterbewillige sollen ihren Sterbewunsch in einer schriftlichen
Erklärung bekunden. Der Suizid muss vom Sterbewilligen selbst
vollzogen werden. Er kann sich dabei von Ärzten oder Ärztinnen sowie
von Dritten begleiten und unterstützen zu lassen. Sterbewillige
müssen sich von einer zugelassenen privaten unabhängigen Stelle
mindesten zwei Mal beraten lassen. Das Beratungsgespräch soll das
Ziel verfolgen, dass den Sterbewilligen alle Umstände und
Hilfsangebote bekannt werden, die ihre Entscheidung ändern könnten.
HALTUNG DER KIRCHE
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erfordere rechtliche
Regelungen, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in
Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm. Aber: «Wir müssen alles
vermeiden, was als Konsequenz dieses Urteils den Suizid zu einer
normalen Option des Lebensendes macht. Das darf nicht passieren. Es
hat seinen guten Sinn, dass der Schutz des Lebens intuitiv sehr stark
verwurzelt ist in unserer Kultur, aber auch in uns selbst.»
Bedford-Strohm sagt aber auch: «Gleichzeitig darf man nicht moralisch
hinwegsegeln über extreme Dilemma-Situationen, über extreme
Leidenssituationen, wo Menschen keinen anderen Weg mehr sehen.» Es
sei wichtig, dass Gewissensspielräume für jene blieben, die wie Ärzte
direkt mit Patienten zu tun hätten. Der Landesbischof fordert
zugleich, die Prävention, die palliative Versorgung weiter zu
stärken. «Im Pflegebereich muss die Ausstattung so sein, dass
Menschen auch wirklich menschlich begleitet werden können. Das muss
uns auch etwas wert sein.»
HALTUNG VON PATIENTENSCHÜTZERN
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz weist darauf hin, dass
Karlsruhe den Gesetzgeber nicht explizit aufgefordert habe, diese
Frage zu regulieren. «Wenn der Bundestag sich dieses ethischen Themas
annimmt, darf jedoch die Selbstbestimmung des Suizidwilligen nicht
eingeschränkt werden.» So dürfe das organisierte Suizidangebot nicht
an Alters- oder Leidenskriterien festgemacht werden. Niemand sollte
sich an der Hilfe zur Selbsttötung finanziell bereichern dürfen.
«Sonst stehen die eigenen Interessen des Suizidhelfers dem freien
Willen des Suizidwilligen schnell entgegen.» Vorsicht sei bei
Schutzkonzepten geboten, die auf Beratung setzten. Denn es sei
unmöglich, Autonomie mithilfe medizinischer oder juristischer
Kriterien zu ermitteln.
«Staatlich ist deshalb nicht nur der Sterbewillige in den Blick zu
nehmen, sondern vor allem der Helfer selbst.» Er habe zu
verantworten, dass der Entschluss des Suizidwilligen tatsächlich nach
deutlicher Abwägung des Für und Widers erfolgt ist. «Gleichzeitig hat
der Suizidhelfer dafür Sorge zu tragen, dass von dritter Seite weder
Druck noch Einflussnahme ausgeübt wird.»
DAS WEITERE VORGEHEN
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte sich kurz nach
dem Karlsruher Urteil zuversichtlich gezeigt, dass eine Neuregelung
bis zur Bundestagswahl 2021 möglich sei. Die Zeit hierfür ist aber
ausgesprochen knapp geworden. Bis zum Ende der Wahlperiode sind nur
noch vier Bundestag-Sitzungswochen vorgesehen. «Es ist nicht mein
Eindruck, dass wir das in dieser Wahlperiode noch mit einem neuen
Gesetz abschließen können», sagt inzwischen CSU-Landesgruppenchef
Alexander Dobrindt. Dann müsste der nächste Bundestag sich des Themas
von Neuem annehmen. Denn alle Gesetzesvorhaben, die bis zum Ende der
Wahlperiode nicht abgeschlossen werden, sind automatisch nichtig.
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