Warum die Belegung der Intensivbetten oft falsch interpretiert wird Von Veronika Völlinger, dpa
Während die dritte Corona-Welle über Deutschland rollt, sinkt die
Zahl der freien Intensivbetten. Das liege daran, dass Intensivbetten
abgebaut wurden, behaupten manche. Ist da etwas dran?
Berlin (dpa) - Es wird eng auf den Intensivstationen, warnen
Intensivmediziner. Manche zweifeln, dass die Corona-Pandemie der
Grund dafür ist. Ein Faktencheck.
BEHAUPTUNG: Auf den Intensivstationen wird es nur eng, weil massiv
Betten abgebaut wurden. Die Belegung hat sich insgesamt im Verlauf
der Pandemie kaum verändert.
BEWERTUNG: Das ist irreführend und teilweise falsch.
FAKTEN: Einige Nutzer in sozialen Netzwerken argumentieren mit Zahlen
aus dem Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung
für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) und des Robert Koch-Instituts
(RKI). Auf den ersten Blick scheinen sie zu zeigen: Die Gesamtzahl
der belegten Intensivbetten in Deutschland bewegt sich seit rund
einem Jahr um die Zahl 20 000. Gleichzeitig sinkt die Zahl der freien
Betten.
Doch bei den Daten zur Auslastung der Intensivstationen gibt es
einiges zu beachten. «Niemand baut Betten ab, aber wir haben einfach
nicht das Personal, um sie zu betreiben», sagte eine Divi-Sprecherin
der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Ein freies Bett könne im
Intensivregister nur dann als frei gemeldet werden, wenn eine Klinik
genügend Ärzte und Pfleger habe, um einen Patienten oder eine
Patientin darin zu versorgen.
Wie viele Pflegekräfte nötig sind, hat sich im Verlauf der Pandemie
mehrmals geändert. Hinzu kommen Ausfälle durch erkranktes
Klinikpersonal, die etwa in der zweiten Welle laut einer
Divi-Sprecherin zunahmen.
Zu Beginn waren zudem Personaluntergrenzen ausgesetzt. Als sie wieder
eingeführt und schließlich im Februar auf tagsüber eine Pflegekraft
pro zwei Intensivpatienten verschärft wurden, mussten Kliniken also
Betten aus dem Intensivregister herausnehmen, für die sie kein
Personal hatten. «Dadurch ist die Gesamtzahl zwar formal etwas
runtergegangen», sagt Christian Karagiannidis, einer der Leiter des
Divi-Intensivregisters, in einem Erklärvideo. «Aber es entspricht in
keinem Fall einem Bettenabbau, sondern es entspricht der wirklichen
realen Wiedergabe dessen, was wir in Deutschland an Intensivkapazität
zur Verfügung haben.»
Doch warum stieg die Belegung der Intensivstationen in den
Corona-Wellen mit jeweils steigender Zahl von Covid-19-Patienten
nicht an?
Das hat vor allem zwei Gründe: «Auf den Intensivstationen ist eine
Auslastung von 80 Prozent die absolute Obergrenze», sagte ein
weiterer Leiter des Divi-Intensivregisters, Steffen Weber-Carstens
von der Berliner Charité, Anfang April. Das sei aber eine eher
theoretische Zahl - und die noch belegbaren Betten als «virtuelle
Größe im Hintergrund» zu verstehen, erklärt der Intensivmediziner d
er
dpa. Konkret: Man checke auf einer Intensivstation ständig, welche
Intensivkapazitäten für die Versorgung von Notfällen zur Verfügung
stünden und ob bei Patienten gegebenenfalls im Laufe des Tages eine
Verlegung in andere Bereiche möglich sei.
Kliniken müssten trotz der Corona-Pandemie für den Alltagsbetrieb
freie Intensivplätze bereithalten. Sonst könnten etwa die Opfer eines
größeren Autounfalls oder zwei, drei Schlaganfallpatienten an einem
Tag nicht mehr adäquat versorgt werden, erläuterte eine
Divi-Sprecherin.
Damit das gelingt, werden planbare Operationen abgesagt oder
Patienten verlegt - die Kliniken stellen «vom Regelbetrieb auf den
Notbetrieb» um, heißt es auf der Webseite des Divi-Intensivregisters.
Die Behandlung der Vielzahl von Covid-19-Patienten Ende Dezember,
Anfang Januar war nach Angaben der Divi-Sprecherin nur möglich, weil
zum Beispiel andere Patienten früher als üblich auf andere Stationen
verlegt wurden.
Der zweite Grund ist, dass sich in der Statistik für ganz Deutschland
regionale Überlastungen der Intensivstationen und weniger belastete
Regionen ausgleichen. Wie unterschiedlich die Belegung regional ist,
kann man einer Karte im Divi-Intensivregister entnehmen, die den
Anteil der freien Betten auf Landkreis-Ebene zeigt. Engpässe
beobachten Intensivmediziner derzeit vor allem in Großstädten und
Ballungsräumen.
Um die außergewöhnlich hohe Auslastung der Intensivstationen
nachzuvollziehen, sollte man außerdem die Zahl der Covid-19-Patienten
auf Intensivstationen betrachten: Diese Kurve zeigt steil nach oben
und liegt derzeit bei rund 4800. Der bisherige Spitzenwert lag Anfang
des Jahres bei über 5700. Mediziner des Divi-Intensivregisters
fürchten, dass es demnächst 6000 Covid-19-Intensivpatienten geben
könnte.
Seit kurzem stuft die Mehrheit der Intensivstationen ihre
Betriebssituation wieder als eingeschränkt ein, etwa beim Personal
oder Material. Das war zuletzt während der zweiten Welle so. Diese
Selbsteinschätzung ihrer Situation teilen die Intensivstationen dem
Divi-Intensivregister seit Beginn der Pandemie mit.
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