Das neue Corona-Schreckgespenst: Viren immun gegen das Impfen? Von Marco Krefting, dpa
Das Coronavirus verändert sich und damit verändern sich auch seine
Eigenschaften. Die in Deutschland verbreitete, stärker ansteckende
Mutante B.1.1.7 ist nur ein Beispiel dafür. Was aber passiert, wenn
eine Variante auftaucht, gegen die die Impfung nicht wirkt?
Berlin/Braunschweig (dpa) - Während das Impfen Spritze um Spritze
langsam vorankommt, mischt sich eine Befürchtung in die aufkeimende
vorsichtige Hoffnung: Das Coronavirus könnte derart mutieren, dass
weder die Impfstoffe noch eine überstandene Infektion vor Ansteckung
und Erkrankung schützen. Kanzleramtschef Helge Braun hatte neulich
der «Bild am Sonntag» gesagt, wenn parallel zum Impfen die
Infektionszahlen stiegen, wachse die Gefahr, dass die nächste
Virus-Mutation den Impfstoff unwirksam werden lasse.
Der CDU-Politiker und Mediziner steht mit dieser Einschätzung nicht
alleine da. Auch Wissenschaftler befassen sich schon länger mit dem
Thema. Mal klingt es etwas alarmistisch, mal nach einer eher
theoretischen Gefahr. Dass sich Sars-CoV-2 grundsätzlich gut anpassen
kann, leiten Experten des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Auftreten
von Virusvarianten ab, die teilweise oder komplett resistent
beispielsweise gegen neutralisierende Antikörper sind. Der in
Südafrika zuerst nachgewiesene Typ B.1.351 könnte nach ihrer
Einschätzung «eine Grundlage für die Entstehung sogenannter
Immune-Escape-Varianten darstellen».
Solche Escape-Varianten, auf Deutsch: Flucht-Varianten, haben sich
genetisch so verändert, dass sie von Antikörpern nicht mehr erkannt
werden, die gegen das ursprüngliche Coronavirus gebildet wurden.
«Tarnung» nennt Luka Cicin-Sain vom Helmholtz-Zentrum für
Infektionsforschung in Braunschweig das. «Viren werden aber nicht
vollständig unsichtbar», sagt Cicin-Sain.
Wenn der sogenannte Selektionsdruck steige - etwa durch einen
wachsenden Anteil an Geimpften in der Bevölkerung - hätten es die
Viren zunehmend schwerer, erklärt Cicin-Sain. Nur die Stärksten
können sich dann noch durchsetzen. Damit wächst die
Wahrscheinlichkeit, dass sich Mutanten ausbreiten, die vom
Immunsystem nicht oder nicht gut erkannt werden. Die zweifache
Impfdosis biete aber einen guten Schutz auch gegen bisher bekannte
Corona-Mutanten, sagt der Forscher. Zumal der Anteil an Antikörpern
im Blut nach einer Impfung in der Regel deutlich höher sei als nach
einer Corona-Infektion.
Gesundheitsbehörden wie das RKI oder die Weltgesundheitsorganisation
analysieren schon seit geraumer Zeit die Virustypen, um sogenannte
«besorgniserregende Varianten» gut im Blick zu behalten. Als solche
gelten derzeit B.1.351 (Südafrika), P.1 (Brasilien) und die aus
Großbritannien bekannte Mutante B.1.1.7. Dass Letztere sich
mittlerweile auch in Deutschland weit verbreitet hat, liegt laut
Cicin-Sain aber nicht daran, dass sie eine Escape-Variante sei -
sondern sie binde besser an Zellen. «Superglue-Klebstoff statt Uhu,
wenn Sie so wollen.»
Was aber, wenn sich eine wirkliche Flucht-Variante durchsetzt? Eine
Gruppe von Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam veröffentlichte
jüngst eine Umfrage unter Epidemiologen und Virologen aus 28 Ländern,
deren Einschätzung zufolge Mutationen die aktuellen Impfstoffe gegen
Covid-19 in einem Jahr oder weniger unwirksam machen könnten.
Forscher des Leibniz-Instituts für Primatenforschung in Göttingen und
des Universitätsklinikums Ulm haben herausgefunden, dass ein
Antikörper, der für die Covid-19-Therapie eingesetzt wird, bei den
Varianten B.1.351 und P.1 komplett wirkungslos gewesen sei. Stefan
Pöhlmann und Markus Hoffmann vom Deutschen Primatenzentrum stufen die
beiden daher als Escape-Varianten ein. Es sei aber davon auszugehen,
dass B.1.351 und P.1 immer noch durch die verfügbaren Impfstoffe
gehemmt würden. «Allerdings ist der Impfschutz möglicherweise
reduziert und von kürzerer Dauer.» Dass Varianten entstehen, die
nicht mehr durch jetzt verfügbare Impfstoffe gehemmt werden, ist den
Forschern zufolge «ein extremes Szenario, aber nicht auszuschließen».
Also im Fall der Fälle alles auf Null? Ganz so dramatisch ist es wohl
nicht. Zwar würden Lockerungspläne bei den Maßnahmen zur
Pandemie-Bekämpfung wohl um Wochen oder gar Monate zurückgeworfen,
wie Modelliererin Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für
Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen vor kurzem sagte. Aber
schon die bisherigen Impfstoffe bieten zumindest einen gewissen
Schutz, wie etwa Cicin-Sain sagt.
Die aktuellen Impfstoffe können nach Angaben der Präsidentin des
Österreichischen Verbands der Impfstoffhersteller, Renée
Gallo-Daniel, auch binnen sechs bis acht Wochen so verändert werden,
dass sie ebenfalls gegen Mutanten wirken. Weil sie dann als neuer
Impfstoff gelten, müssten sie aber gleichermaßen zugelassen werden.
Die Europäische Arzneimittel-Agentur hat für diesen Fall schon ein
Prozedere geplant, das eine rasche Zulassung für diese adaptierten
Impfstoffe ermöglicht, wie auch der Präsident des
Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, vor kurzem versicherte. «Nach
der Zulassung muss dann die Produktion umgerüstet werden», erklärt
Gallo-Daniel weiter. Auch das kostet Zeit. Zu klären sei dabei, ob
die gesamte Produktion oder nur ein Teil umgestellt werden muss.
Es ist nicht die einzige Frage, die Politiker und Behörden im Falle
des Falles - möglichst schnell - beantworten müssen, wie die
Verbandschefin deutlich macht: Wer entscheidet, ab wann auf einen
veränderten Impfstoff umgestiegen wird? Müssen beide Impfstoffe
verwendet werden? Ist es möglich, dass ein Impfstoff entwickelt wird,
der mehrere Corona-Stämme enthält und regelmäßig angepasst wird -
ähnlich wie bei der Grippe? Nicht zu guter Letzt kann heute noch
niemand wirklich sagen, wie lange der Impfschutz eigentlich hält.
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