Öffnungsmodell im Saarland - Wie lange wird die neue Freiheit halten? Von Fatima Abbas, dpa

Während im Saarland Menschen auf Café-Terrassen sitzen, verkündet die

Bundesregierung, bald einheitliche Regeln im Kampf gegen die Pandemie
per Gesetz durchsetzen zu wollen. Die Öffnungen im kleinsten
Flächenland könnten bald passé sein.

Saarbrücken (dpa) - Große Aufregung und Vorfreude. Drinnen wie
draußen. Die Gäste treffen nach und nach ein. Mit Maske, Abstand und
negativem Corona-Test-Ergebnis. Journalisten an jeder Ecke. Es ist
ein besonderer Abend für das saarländische Staatstheater.

Nach sechs Monaten Stillstand hat es am Donnerstagabend erstmals
wieder seine Pforten geöffnet. Der sichtlich aufgeregte
Theater-Intendant verteilt munter Glücksschweinchen aus Marzipan.
«Schwein gehabt» haben all jene, die einen der rund 200 Plätze
ergattern konnten. In normalen Zeiten wäre das Theater mit 980 Gästen
besetzt. Ein junges Paar aus Stuttgart freut sich über sein Glück -
und über das saarländische Öffnungsmodell, das «diese Freiheit»
möglich mache. Im Ländle müssten sie dafür nach Tübingen fahren.
«Wir
genießen es», sagt die junge Frau.

Nur das Abendessen - das sei leider ausgefallen, weil die Gastronomie
offensichtlich noch nicht ganz auf die neue Realität vorbereitet war:
Seit Dienstag dürfen Außengastronomie, Fitnessstudios und
Kultureinrichtungen im Saarland wieder öffnen - wenn die Gäste einen
negativen Corona-Schnelltest vorweisen. Ein Modell, auf das ganz
Deutschland blickt. Erstmals wagt ein ganzes Bundesland
Öffnungsschritte - obwohl seit Tagen die Zeichen auf Lockdown stehen.
Die dritte Pandemiewelle rollt. Wissenschaftler und Mediziner warnen
vor dem Kollaps der Krankenhäuser. Auch im Saarland steigt die
Inzidenz. Am Donnerstag lag sie bei 97,4. Der Präsident des Robert
Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, übt Kritik an Lockerungen trotz
hoher Fallzahlen. «In einigen Regionen wird aktuell bei
Sieben-Tage-Inzidenzen um 100 gelockert», sagte Wieler am Freitag -
ohne dabei explizit das Saarland zu nennen. Angesichts der sich
zuspitzenden Lage in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen
sei das «bedenklich - zumindest solange wirksame zusätzliche Konzepte
der Pandemie-Eindämmung fehlen», erläuterte der RKI-Chef.

Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans beharrt darauf, dass
er die sogenannte Notbremse ernst nehme und dass sie im Saarland
unter Berücksichtigung des R-Werts und der Lage in den Krankenhäusern
greifen werde, wenn sich die Situation verschärfe. «Wir fahren nicht
über Rot», bekräftigte der CDU-Politiker am Donnerstagabend in der
Talk-Sendung «Maybrit Illner». Er will sich nicht allein auf
Inzidenzwerte verlassen und verteidigt sein auf Tests basierendes
Öffnungsmodell.

Aber seit diesem Freitag ist klar: Er könnte womöglich bald dazu
gezwungen sein, sich an der Inzidenz zu orientieren und dann
schärfere Maßnahmen zu ergreifen. Wie die stellvertretende
Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Freitag überraschend erklärte,
soll das Infektionsschutzgesetz im Eilverfahren geändert werden, um
bundeseinheitliche Vorgaben ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 zu
ermöglichen. Damit wäre die «Notbremse», die im Saarland bislang
nicht nach festen Zahlen geregelt ist, zwingend zu ziehen. Bund und
Länder hatten bereits Anfang März eine «Notbremse» ab einer Inziden
z
von 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen
vereinbart. Allerdings war sie zum Teil ignoriert worden. Diese
Verbindlichkeit soll die geplante Änderung des
Infektionsschutzgesetzes garantieren.

Bis dahin und solange der saarlandweite Inzidenzwert wie in den
vergangenen Wochen unter 100 bleibt, können die Saarländer weiter auf
der Außenterrasse sitzen. Auch wenn die Einheimischen immer wieder
die eine Frage stellen: «Wer weiß, wie lange noch?»

Das fragt sich auch der saarländische Hotel-und Gaststättenverband,
der befürchtet, dass der Bund mit einem neuen Lockdown durchgreifen
könnte, wie Dehoga-Hauptgeschäftsführer Frank Hohrath der Deutschen
Presse-Agentur sagte.

Auch Tobias Hans will keinen kollektiven Lockdown. In einer
gemeinsamen Erklärung mit Sachsens Ministerpräsident Michael
Kretschmer (ebenfalls CDU) betont Hans am Freitag, dass auch bei
einer Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes
Entscheidungsspielräume für die Länder bleiben müssten. «Wir sind
im
Saarland und auch im Freistaat Sachsen immer konsequent
vorangegangen, wenn es notwendig war. Wir sehen aber auch schon
alleine an unseren beiden Ländern, wie unterschiedlich die Situation
ist», teilten die Regierungschefs am Freitag nach einem gemeinsamen
Telefonat mit. «Man braucht Entscheidungsspielräume, um auch auf die
jeweilige besondere Situation in den Ländern reagieren zu können.»

Im Saarbrücker Staatstheater hat man sich am Donnerstagabend über
diese Entscheidungsspielräume gefreut. Das Hygienekonzept habe
funktioniert, betont Theaterchef Bodo Busse am Morgen danach. Auch
wenn das «Damoklesschwert», wie er es nennt, bleibe. «Es ist allen
bewusst, dass es schnell wieder vorbei sein kann.» Oder mit anderen
Worten: «Wer weiß, wie lange noch?»