Stiko-Chef sieht keine Widersprüche unter Experten zu Astrazeneca

Berlin (dpa) - In der Debatte um den Corona-Impfstoff von Astrazeneca
hat der Vorsitzende der deutschen Ständigen Impfkommission (Stiko)
der Wahrnehmung widersprochen, es gebe Meinungsverschiedenheiten
unter Experten. Es gebe keinen Widerspruch zwischen den
Einschätzungen der EU-Arzneimittelbehörde EMA, dem
Paul-Ehrlich-Institut und der Stiko, sagte der Virologe Thomas
Mertens am Donnerstag im RBB-Inforadio. Dass der
Astrazeneca-Impfstoff in seltenen Fällen zu schweren und auch
lebensgefährlichen Nebenwirkungen (bestimmten Arten von
Blutgerinnseln) führen könne, bestreite niemand.

Mertens betonte vielmehr die unterschiedlichen Aufgaben und
Blickwinkel der Institutionen: Die EMA sei für die grundsätzliche
Zulassung zuständig, machte er deutlich. Bei der Stiko gehe es
vielmehr darum, den Impfstoffeinsatz zum besten Nutzen der
Bevölkerung in Deutschland zu regeln.

Wenn man ganz Europa betrachte, habe die EMA mit ihrer positiven
Bewertung der Impfung sicher recht, betonte Mertens: «Denn es gibt
viele Länder in Europa, die auch in ihrer Impfkampagne fast völlig
von Astrazeneca abhängen.» In Deutschland sei das anders, auch andere
Präparate stünden zur Verfügung: «Wir haben die Möglichkeit,
Impfstoffe in den Altersgruppen zu verschieben und dadurch das Risiko
einer schweren Nebenwirkung zu reduzieren oder ganz auszuschließen.»

Mit Blick auf unterschiedliche Altersbeschränkungen in EU-Ländern
erläuterte Mertens, dass jedes Land seine eigenen Daten betrachte.
Die EU-Staaten hätten unterschiedliche, kaum miteinander
vergleichbare Meldesysteme für Nebenwirkungen. Eine Art europäische
Stiko fehle: «Es gibt derzeit keine europäische Institution, die eine
gemeinsame Empfehlung für alle europäischen Länder ausarbeiten und
durchsetzen könnte.»

Die EMA hatte am Mittwoch trotz sehr seltener Fälle von
Blutgerinnseln in Hirnvenen jüngerer Menschen weiterhin
uneingeschränkt grünes Licht für die Anwendung des Impfstoffes
gegeben. Die Stiko empfiehlt Astrazeneca hingegen erst für Menschen
ab 60 Jahren. In Großbritannien sollen nur noch Erwachsene über 30
das Mittel bekommen.