Mal verboten, mal nicht - «Querdenker»-Proteste werden auch untersagt Von Martin Oversohl, dpa

Die einen dürfen, die anderen nicht. Während sich in Stuttgart die
Wogen nach dem «Querdenken»-Protest noch nicht geglättet haben, wird

das Demonstrieren gegen Corona-Auflagen in anderen Städten auch mal
untersagt. Das Innenministerium weiß, wie es als ultima ratio ginge.

Stuttgart (dpa/lsw) - Im Streit um Demonstrationen gegen die
Corona-Auflagen reagieren Kommunen und Ordnungsbehörden durchaus
unterschiedlich. Während sich Stuttgarts Rathaus seit Tagen gegen den
Vorwurf wehren muss, einen ausgeuferten Protest der «Querdenker» am
Samstag nicht von vorneherein verboten zu haben, ist genau dies in
Schwäbisch Gmünd (Ostalbkreis) passiert. Dort wurde ein deutlich
kleinerer Protest der Bewegung mit Verweis auf die hohen
Infektionszahlen am Dienstag untersagt. Die Demonstrationen finden
regelmäßig dienstags in Schwäbisch Gmünd statt.

«Das war eine spezielle Einzelfallentscheidung, die wir vor allem
wegen der schlechten Erfahrungen mit dem Veranstalter untersagt
haben», betonte Stadtsprecher Markus Herrmann am Mittwoch. Die
Teilnehmer hielten sich nicht an Corona-Regeln wie Abstand und
Maskenpflicht, deshalb sei das Infektionspotenzial nicht überschaubar
gewesen. «Wir konnten in der Abwägung eine solche Veranstaltung nicht
zulassen. Wir sind da als Stadt auch in der Pflicht, eine solche
Entscheidung zu treffen», sagte Hermann.

Verboten wurden in den vergangenen Monaten unter anderem auch
«Querdenken»-Versammlungen in Freiburg und Weil am Rhein. Freiburg
hatte kurz vor Weihnachten befürchtet, dass zu viele Teilnehmer
kommen würden. Weil am Rhein im Dreiländereck
Deutschland-Schweiz-Frankreich hatte eine Demo untersagt, aus Angst,
das Virus könne sich verbreiten und die Lage im damals besonders vom
Virus heimgesuchten Landkreis Lörrach verschärfen.

In Stuttgart hatten sich am Karsamstag rund 15 000 Menschen
größtenteils ohne Masken und Mindestabstand versammelt und die Stadt
in große Erklärungsnot gebracht. Mehr als 1000 Polizisten waren am
Samstag zusammen mit Einheiten aus anderen Bundesländern und der
Bundespolizei im Einsatz gewesen. Sie schritten wegen der Verstöße
gegen die Corona-Regeln aber kaum ein.

Stuttgarts Stadtoberhaupt Frank Nopper verteidigte die Erlaubnis der
Stadt zur Demonstration. «Es gab vor der Versammlung auf der
Grundlage der Anmeldungen überhaupt keinen rechtlich begründbaren
Ansatz, ein Versammlungsverbot auszusprechen.» Die
Versammlungsfreiheit sei ein hohes Gut. Darüber könne man sich nicht
einfach hinwegsetzen. Die Demo-Anmelder hätten zugesagt, dass sie die
Coronabeschränkungen einhalten würden. Anmelder Michael Ballweg habe
dies bei früheren Versammlungen im Wesentlichen getan, sagte der
CDU-Politiker.

Dem widerspricht der Berliner Rechts- und Verwaltungswissenschaftler
Ulrich Battis. Es habe durchaus die Möglichkeit gegeben, die
Großdemonstration mit bis zu 15 000 Teilnehmern vom vergangenen
Samstag zu untersagen, sagte er den «Stuttgarter Nachrichten»
(Mittwoch). «Nach meinen Informationen habe ich keine Zweifel daran,
dass das Land mit seiner Auffassung im Recht ist, dass die
Demonstration hätte verboten werden können», ergänzte Battis.

Erfahrungen bei ähnlichen Veranstaltungen unter anderem in Berlin und
Kassel hätten gezeigt, dass sich die Veranstalter nicht an die
geltenden Auflagen hielten. «Dass dies in Stuttgart auch so kommen
wird, war von vornherein klar», sagte Battis. Es sei «Unsinn», sich
in Pandemiezeiten auf die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit zu
berufen. Hier habe bei Missachtung der Auflagen das Grundrecht auf
körperliche Unversehrtheit Dritter eindeutig Vorrang.

Die Experten im Innenministerium sehen das ähnlich: Eine Versammlung
könne durchaus verboten werden. Es müsse aber feststehen, dass es dem
Antragsteller «mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit» nicht
gelingen wird, die Einhaltung seines Hygienekonzepts sicherzustellen
oder wenn mit erheblichen Auflagenverstößen durch die
Versammlungsteilnehmer zu rechnen ist. Gesundheitsbehörden könnten
zudem beurteilen, wann eine Versammlung aus
infektionsschutzrechtlichen Gründen nicht mehr vertretbar sei, teilte
das Ministerium der dpa mit.

Aber wie können die Risiken abgewogen werden? Laut Ministerium hilft
der Vergleich: Eine Kommune könne zum Beispiel schauen, ob es
Ähnlichkeiten gebe mit früheren Versammlungen, etwa beim Motto, beim
Ort, dem Datum und dem Teilnehmer- und Organisatorenkreis.

Allerdings trügen auch der Veranstalter eines Protests eine
Verantwortung, betonten die Experten des Ministeriums. Der Leiter
einer Versammlung sei verpflichtet, einen Aufzug für beendet zu
erklären, wenn er sich nicht durchzusetzen vermag. Von den
Veranstaltern des Stuttgarter Protestes, der Bewegung «Querdenken
711» oder deren Gründer Michael Ballweg, war auch am Mittwoch auf
Anfrage keine Stellungnahme zu erhalten.