Amnesty: Corona hat Krise der Menschenrechte ausgelöst

Millionen Menschen sind bereits nach einer Corona-Infektion
gestorben. Die verheerenden Folgen der Pandemie gehen aber viel
weiter. Amnesty International schlägt nun Alarm, was die
Menschenrechtslage weltweit angeht.

Berlin/London (dpa) - Die Corona-Pandemie hat laut Amnesty
International weltweit zu einer deutlichen Zunahme von
Menschenrechtsverletzungen mit vielen Millionen Betroffenen geführt.
Corona sei «in einer großen Zahl von Ländern nicht nur eine
Gesundheitskrise, sondern auch eine Krise der Menschenrechte», sagte
der Deutschlandchef der Organisation, Markus Beeko, am Mittwoch bei
der Vorstellung des Amnesty-Jahresberichts in Berlin. Behörden hätten
«billigend Schaden oder sogar den Tod» von besonders
schutzbedürftigen Menschen in Kauf genommen, zum Beispiel von
Risikopatienten, Beschäftigten im Gesundheitssektor oder Migranten.

Politiker aus Koalition und Opposition forderten, diesen Trend zu
stoppen. «Wir müssen nun hellwach sein und verhindern, dass im
Schatten der Pandemie die Menschenrechtsverletzungen weiter
zunehmen», sagte SPD-Menschenrechtsexperte Frank Schwabe.

Der Bericht beleuchtet die Menschenrechtslage in 149 der insgesamt
etwa 200 Länder weltweit. Danach hat die Pandemie in vielen Regionen
Ungleichheit, Diskriminierung und Unterdrückung verstärkt. Die Krise
sei von zahlreichen Staaten missbraucht worden, um
Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit weiter einzuschränken.

Amnesty wirft der gesamten Staatengemeinschaft vor, im Kampf gegen
Corona versagt zu haben. «Die Pandemie hat auch die Mittelmäßigkeit
und Verlogenheit, den Egoismus und den Betrug unter den Machthabenden
dieser Welt verstärkt», schreibt Amnesty-Generalsekretärin Agnès
Callamard im Vorwort zu dem Bericht. Die Welt sei «derzeit unfähig,
bei einem globalen Ereignis mit großen Auswirkungen effektiv und
gerecht zusammenzuarbeiten».

Gemeint ist damit vor allem die Verteilung von Impfstoffen. Die für
eine gerechte Versorgung gegründete Covax-Initiative der
Weltgesundheitsorganisation WHO sei von Russland, den USA und anderen
Ländern unterminiert worden, kritisiert Amnesty. Auch hätten mehr als
90 Länder Exportbeschränkungen für medizinisches Gerät,
Schutzausrüstung, Arznei- und Nahrungsmittel verhängt.

Die Vorsitzende des Bundestags-Menschenrechtsausschusses, Gyde Jensen
(FDP), wertete den Amnesty-Bericht als Beleg dafür, «dass die
Pandemie wie ein Brandbeschleuniger wirkt». Außenminister Heiko Maas
(SPD) sollte sich nun mit seinen EU-Kollegen für eine gemeinsame
Menschenrechtskonferenz mit den USA und weiteren
Verbündeten einsetzen. «Das Ziel muss dabei explizit die
Stärkung der Zivilgesellschaften sein.»

Die Grünen sprachen von einer «düsteren Jahresbilanz» von Amnesty
.
Sie sollte ein «Weckruf an die Bundesregierung und die internationale
Gemeinschaft sein», erklärten die Menschenrechtspolitiker Margarete
Bause und Kai Gehring. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Zaklin Nastic
forderte die Bundesregierung auf, sich für eine gerechtere
Impfstoffverteilung einzusetzen.

In mehreren Bereichen sieht Amnesty besonders große Missstände:

- BESCHÄFTIGTE IM GESUNDHEITSWESEN würden nicht ausreichend vor einer
Infektion mit dem Coronavirus geschützt. «Es ist bezeichnend, dass
statistisch betrachtet im letzten Jahr alle 30 Minuten eine im
Gesundheitswesen arbeitende Person mit Covid-19 gestorben ist», sagt
Amnesty-Deutschlandchef Beeko. Kritik an den Arbeitsbedingungen habe
zu Festnahmen, Entlassungen oder anderen Strafmaßnahmen geführt. In
42 von 149 untersuchten Ländern hätten staatliche Stellen
Gesundheitspersonal in Zusammenhang mit der Pandemie drangsaliert
oder eingeschüchtert.

- FLÜCHTLINGE UND MIGRANTEN: Ihre Situation hat sich laut Amnesty
während der Pandemie deutlich verschlechtert. In ebenfalls 42 Staaten
habe es Berichte über Abschiebungen von Flüchtlingen und Migranten in
Länder gegeben, in denen ihnen Menschenrechtsverletzungen drohten.
Grenzschließungen hätten Menschen ohne Grundversorgung stranden
lassen, viele seien in Lagern ohne sanitäre Grundausstattung
festgesetzt worden, oft fehlten sauberes Wasser und wichtige
Hygieneartikel.

- REPRESSION: Gewalt in politischen Konflikten habe ebenso zugenommen
wie Einschränkungen von Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit.
Kritiker der Corona-Politik ihrer Regierungen seien vielerorts
gezielt verfolgt und unterdrückt worden. «Zahlreiche Staaten
missbrauchten die Gesundheitskrise, um weiter rechtsstaatliche
Prinzipien aufzulösen und Rechte einzuschränken», sagt Beeko.

- DISKRIMINIERUNG: In vielen Weltregionen sei ein erheblicher Anstieg
von häuslicher Gewalt festgestellt worden. Für viele Frauen sowie
lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intersexuelle (LGBTI)
Menschen seien in der Pandemie Schutz- und Hilfsangebote nicht mehr
verfügbar. In mindestens 24 Länder dokumentierte Amnesty
«glaubwürdige Vorwürfe», dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen
Orientierung oder Geschlechtsidentität festgenommen worden seien -
ein Anstieg von 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Im Kapitel zu Deutschland werden im Amnesty-Bericht unter anderem
rechte Aktivitäten bei der Polizei und anderen Sicherheitskräften
sowie der Anstieg der Straftaten im Bereich der Hasskriminalität
kritisiert. Die stellvertretende Grünen-Vorsitzende Jamila Schäfer
nannte es vor diesem Hintergrund «beschämend», dass die
Bundesregierung noch keine umfassende Strategie zur Bekämpfung von
Hasskriminalität entwickelt habe.