In Israel feiern die Menschen wieder: Schöne neue Welt nach Corona? Von Sara Lemel, dpa

Bis vor kurzem war Israel noch ein Corona-Hochinzidenzgebiet. Doch
zuletzt sind die Infektionszahlen massiv gesunken. Die intensive
Impfkampagne ermöglicht vielen in dem kleinen Land am Mittelmeer eine
neue Normalität.

Tel Aviv (dpa) - In den Cafés am schicken Rothschild-Boulevard in der
Küstenmetropole Tel Aviv sitzen Hunderte von Gästen dicht an dicht
gedrängt. Eine Schutzmaske trägt keiner von ihnen. Es wirkt fast, als
habe es das Coronavirus nie gegeben. Und in der Tat sind die
Infektionszahlen in Israel knapp vier Monate nach Beginn der rasanten
Impfkampagne dramatisch gefallen. Große Krankenhäuser in dem Land
haben ihre Corona-Intensivstationen bereits geschlossen.

Dabei war das kleine Mittelmeerland bis vor kurzem noch als
Hochinzidenzgebiet eingestuft, und die Corona-Fallzahlen waren zu
Jahresbeginn im Vergleich zu Deutschland deutlich höher. Mit massivem
Einsatz und viel Pragmatismus ist es dem Land gelungen, bisher rund
57 Prozent seiner mehr als neun Millionen Einwohner eine Erstimpfung
mit dem Präparat von Biontech/Pfizer zu verabreichen. Fast alle über
70-Jährigen und mehr als 70 Prozent der über 30-Jährigen sind schon
vollständig geimpft. Eine klare Mehrheit der Einwohner hat bereits
einen Grünen Pass, der Geimpften und Genesenen neue Freiheiten
ermöglicht.

Die sinkenden Fallzahlen sprechen für die Wirksamkeit der
Impfkampagne, die zu den erfolgreichsten weltweit zählt: Am Dienstag
teilte das Gesundheitsministerium mit, nur 375 neue Fälle seien in
den vergangenen 24 Stunden gemeldet worden. Nur 0,7 Prozent von mehr
als 55 500 Tests fielen positiv aus. Zum Vergleich: Mitte Januar
hatte der Höchststand noch bei mehr als 10 000 Fällen am Tag gelegen,
im September hatte der Anteil der positiven Tests einen Höchststand
von mehr als 15 Prozent erreicht.

Das angesehene Ichilov-Krankenhaus in Tel Aviv schrieb am Montag auf
Facebook, es habe erstmals seit Beginn der Pandemie vor gut einem
Jahr keine einzige neue Corona-Einweisung in der Klinik gegeben.
Außerdem müsse niemand mehr wegen einer Corona-Infektion beatmet
werden und es sei kein neuer Todesfall verzeichnet
worden: «Großartig!»

Menschen mit Grünem Pass können in Israel inzwischen wieder Konzerte
und Theaterveranstaltungen besuchen, in Restaurants gehen, im
Fitnessstudio und Schwimmbad trainieren, und vieles mehr. Viele
Menschen wagen es auch wieder, sich gegenseitig in die Arme zu
nehmen. In einem Tel Aviver Büroturm treffen sich Menschen zum ersten
Mal seit einem Jahr zu einer Cocktailparty ohne Masken. Der
Corona-Beauftragte Nachman Asch sagte, kommende Woche könnte
Maskenpflicht zumindest im Freien offiziell aufgehoben werden.

Doch nicht alles sieht rosig aus. Zuletzt stagnierte die Zahl der
täglichen Impfungen deutlich und rund eine Million Israelis sind noch
nicht geimpft. Viele Impfzentren stehen praktisch leer. Es gibt einen
harten Kern von Impfgegnern, die sich auch mit Vergünstigungen nicht
ködern lassen wollen. In sozialen Medien hagelt es immer wieder harte
Kritik an der «aggressiven» Impfkampagne. Überzeugte Impfgegner
schrecken auch nicht davor zurück, Sanktionen gegen Ungeimpfte im
Land mit denen gegen Juden in Nazi-Deutschland zu vergleichen.

Wenn sich nicht alle Erwachsenen impfen lassen, kann nach
Einschätzung israelischer Experten auf Dauer keine Herdenimmunität
erzielt werden. Dazu kommt: Israel ist ein sehr junges Land, rund 30
Prozent der Bürger sind unter 16 Jahre alt. Sie können bisher nur in
absoluten Ausnahmefällen geimpft werden. Experten rechnen aber damit,
dass bald auch die Impfung von Jugendlichen im Alter von 12 bis 16
Jahren beginnen könnte. Wie viele der Eltern zustimmen werden, ist
allerdings noch ungewiss.