WHO-Bilanz dürftig - Wer rettet die Welt vor der nächsten Pandemie? Von Christiane Oelrich, dpa

Wer ist schuld? Die Frage liegt gerade für Politiker nahe, wenn etwas
schiefgeht - umso mehr bei einer furchtbaren Pandemie. Als Sündenbock
muss auch die Weltgesundheitsorganisation herhalten. Zu Recht?

Genf (dpa) - Für den ehemaligen US-Präsident Donald Trump war die
Sache im vergangenen Frühjahr klar: Weil das Coronavirus zuerst in
Wuhan ausbrach, drosch er sofort auf China als Sündenbock ein. Viele
machten da nicht mit - sicher auch aus Angst vor chinesischer
Vergeltung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) war da schon eine
einfachere Zielscheibe. Wofür gibt es denn eine WHO, wenn sie ein
solches Desaster nicht verhindern kann?

Am 7. April ist Weltgesundheitstag, der Tag, der an die Gründung der
WHO 1948 erinnert. Er steht unter dem Motto «eine gerechtere,
gesündere Welt schaffen» - kann die WHO das überhaupt? Was traut man

ihr zu, angesichts von weltweit mehr als 130 Millionen gemeldeten
Corona-Infektionen, fast drei Millionen Toten, und steigenden Zahlen?

Ja, die WHO zögerte 2020 lange, bevor sie das Maskentragen empfahl,
und ja, WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus fasste China mit
Samthandschuhen an, obwohl anfänglich kaum Informationen aus Peking
kamen und die Regierung internationale Experten auf Abstand hielt.
Aber: Die WHO appellierte auch schon im Januar 2020 an alle Länder,
wachsam zu sein. Wenn ihre Appelle und Warnungen ignoriert werden,
kann sie nichts tun.

«Als die WHO am 30. Januar eine Notlage internationaler Tragweite
ausgerufen hat, haben westliche Länder das nicht ernst genommen - sie
dachten, das gehe sie nichts an», sagt Professorin Ilona Kickbusch
der Deutschen Presse-Agentur. Kickbusch war lange bei der WHO und
leitet heute das Gesundheitsprogramm am Hochschulinstitut für
internationale Studien und Entwicklung in Genf.

Beim nächsten Mal soll alles anders werden. Das Ausmaß der
Corona-Folgen dürfte selbst Reformbremser aufgerüttelt haben. «Ist
dies der Tschernobyl-Moment für die WHO und das globale
Gesundheitssystem?» fragt Helen Clark. Die ehemalige neuseeländische
Premierministerin prüft im Auftrag der WHO, wie gut die Organisation
und Regierungen in der Pandemie agiert haben. Nach dem Reaktor-Unfall
im sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl wurden in kürzester Zeit
internationale Übereinkommen zur Reaktorsicherheit geschlossen.

Was ist nötig? «Starke Sanktionen», meint Claire Chaumont, Dozentin
für öffentliche Gesundheit an der Harvard-Universität. «Die
Gesundheitsvorschriften müssen Sanktionen enthalten, die gegen
Länder, die ihrer Pflicht nicht nachkommen, durchgesetzt werden»,
fordert sie in einem Fünf-Punkte-Reform-Plan. Auf diese Vorschriften
hatten sich die Länder 2005 für den Fall einer Pandemie verpflichtet.
Verdächtige Krankheitshäufungen müssen umgehend gemeldet werden, und

jedes Land muss Vorkehrungen gegen eine Ausbreitung treffen. Nur: Zur
Einhaltung zwingen kann die WHO bislang niemanden.

Aber Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts, hält nichts
von Sanktionen: «Das hat bei mir uns Zuhause in der Kindererziehung
schon nicht geholfen. Die WHO müsse vielmehr Vertrauen aufbauen.» Das
ist schwierig in der polarisierten Welt. Die WHO zu stärken, Staaten
Pflichten aufzuerlegen und sie dazu bringen, ein Stück Souveränität
aufzugeben - das ist mit China oder Russland, aber auch den USA, kaum
drin.

«Aber wenn es einen Bereich gibt, in dem die Weltgemeinschaft sich
auf bessere multilaterale Zusammenarbeit verständigen können sollte,
dann ist es doch die Gesundheit», sagt ein deutscher Diplomat. «Sie
betrifft alle Staaten, das haben wir in der Pandemie gesehen.»

Die EU hat einen neuen völkerrechtlichen Vertrag zu Pandemievorsorge
und -bekämpfung vorgeschlagen. Deutschland steht dahinter. Er soll
Warnsysteme verbessern, den Datenaustausch fördern und Hilfsmaßnahmen
besser koordinieren. Das wäre zwar eine freiwillige Vereinbarung.
Aber es entstünde Druck auf Länder, mitzumachen. Zudem würde das
Thema Pandemievorbereitung in den Fokus rücken.

Bis so etwas in Kraft ist, können aber Jahre vergehen. Viele Länder
wollen schneller voranmachen, schon bei der Jahrestagung im Mai. Auf
dem Tisch liegt der Vorschlag, dass die Mitgliedsländer sich einer
regelmäßigen gegenseitigen Prüfung unterziehen, ob sie gut auf
Pandemien vorbereitet sind. Labors könnten weltweit routinemäßig
inspiziert werden. «Das schafft Vertrauen, und im Notfall hat man
Kontakte und es gibt einen leichteren Austausch», sagt Kickbusch.

Eine Baustelle ist auch die Finanzierung. Fast 50 Prozent des Budgets
bestreiten fünf Geber, darunter die USA, die Gates-Stiftung und
Deutschland. Andere Länder sollen stärker zur Kasse gebeten werden.
Luxemburg und Pakistan zahlen jeweils mehr als China. «Wenn wir von
der WHO eine zentrale Rolle erwarten, müssen wir auch bereit sein,
sie entsprechend zu unterstützen», sagt der deutsche Diplomat.