Studie: Hohes Aggressionspotenzial gegen Bürgermeister in Hessen

Beleidigungen gegen Bürgermeister scheinen Alltag zu sein. Einer
Studie der Uni Gießen zufolge sind aber auch Gewaltandrohungen keine
Einzelfälle. In Briefen, Mails oder auch direkt ist auch von Mord,
Vergewaltigung oder Brandstiftung die Rede.

Gießen (dpa/lhe) - Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter
Lübcke, Messerattacken, Anfeindungen und Vandalismus: Amts- und
Mandatsträger in Deutschland sind nicht selten Opfer gewalttätiger
oder verbaler Attacken. Eine jüngst veröffentlichte Studie der
Kriminologin Britta Bannenberg von der Justus-Liebig-Universität
Gießen unter hessischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern zeigt,

dass Aggressionen und Drohungen gegen die Politiker oder ihr
persönliches Umfeld weit verbreitet sind. Mit Auswirkungen auf die
Demokratie: Auf die Frage, ob Anfeindungen und Gewaltdrohungen
Auswirkungen auf eine erneute Kandidatur haben, lautet mehr als ein
Viertel der Antworten «Ja».

Für die Studie wurden im August 2020 alle 422 Stadt- und
Gemeindeoberhäupter Hessens mithilfe eines Online-Fragebogens zu
ihren Erfahrungen mit Gewalt und Aggressionen angeschrieben. Gefragt
wurde nach Erfahrungen in der Amtszeit unter anderem zu
Beleidigungen, Bedrohungen, Todesdrohungen, Beschädigung von Eigentum
oder auch Einschüchterung der eigenen Person und nahe stehender
Menschen. Alle Angeschriebenen erhielten einen persönlichen
Zugangscode, um versehentliche Doppelteilnahmen auszuschließen. Mehr
als die Hälfte der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister beteiligten
sich - 203 vollständig und 9 teilweise.

Die Umfrage zeigt, dass 7,6 Prozent der Befragten gewalttätige
Angriffe mit körperlichen oder psychischen Folgen erlebten. Bei drei
Prozent habe es auch Angriffe auf nahe stehende Personen gegeben.
Todesdrohungen hätten 7,6 Prozent per Brief, 2 Prozent in direktem
Kontakt und 1 Prozent via soziale Medien erhalten, dies teils auch
mehrfach. Bei 13 Prozent der Befragten sei persönliches Eigentum
zerstört oder beschädigt worden. Bei Beleidigungen sei davon
auszugehen, dass dies jeder schon erlebte.

Aus den Antworten der Stadtoberhäupter hätten sich zahlreiche Details
zu den Übergriffen ergeben. So schrieb ein Bürgermeister: «Bedrohung

mit der Geste des Halsabschneidens, als ich vor der Waschstraße einer
Tankstelle stand.» Ein anderer Bürgermeister zitierte den Inhalt
einer an ihn gerichteten Mail: «Nach dem TV-Beitrag habe ich den
Eindruck, dass Sie eine korrupte, bürgerferne Gestalt sind, deren Tod
die Lebensqualität aller Einwohner sanft anheben würde ... Mögen Sie

schnell und qualvoll verrecken.» Drohungen reichten ansonsten von der
Ankündigung körperlicher Gewalt über das Anzünden des Hauses oder
auch der Vergewaltigung der Ehefrau.

Gewalt gegen Personen des öffentlichen Lebens sei kein neues
Phänomen. Berichte darüber würden aber zunehmen. Und gerade die
Gruppe der Bürgermeister sei ein vergleichsweise leichtes Ziel für
potenzielle Täter. Anders als Europa-, Bundes- oder Länderpolitiker
hätten sie mehr Berührungspunkte mit Menschen.

Mit Blick auf die Corona-Pandemie könne aufgrund des Zeitpunkts der
Befragung keine Aussage auf den Einfluss auf potenzielle Täter wegen
des zweiten Lockdowns und damit einhergehender
Grundrechtseinschränkungen getroffen werden. Insgesamt könne man
attestieren, dass eine fundierte Datengrundlage den Schutz der am
wenigsten geschützten Politikerinnen und Politiker erleichtern und
sicherstellen könne, dass Angst vor Gewalt nicht die freie Bewerbung
um politische Ämter beeinträchtige und damit Demokratie gefährde.