Bald dürfen alle - flächendeckende Impfungen in Hausarztpraxen beginnen Von Anika von Greve-Dierfeld, dpa

Die Hausärzte sind bereit, viele Bürger mehr als willig - aber der
Flaschenhals ist und bleibt die Impfstoffmenge. Gäbe es nicht viel zu
wenig, könnten die Hausärzte flächendeckend so richtig loslegen. Das

nämlich durften sie lange Zeit nicht - bis jetzt.

Karlsruhe (dpa/lsw) - Jetzt geht es richtig los! Eigentlich. Nach dem
entsprechenden Bund-Länder-Beschluss beginnt auch im Südwesten in den
Hausarztpraxen ab der zweiten Aprilwoche das flächendeckende Impfen.
Bisher gab es nur ein Modellprojekt mit 40 teilnehmenden Praxen. Bis
aus dem Anspruch «flächendeckend» auch Wirklichkeit wird, dürfte ab
er
noch einige Zeit ins Land gehen.

Wie viel Impfstoff steht überhaupt für den Impfstart in
Hausarztpraxen zur Verfügung?

Nicht viel, so lautet die wenig überraschende Antwort aus dem
Sozialministerium. Aufgrund der weiterhin sehr geringen Liefermengen
gebe es pro Woche gerade mal 20 Impfdosen pro Praxis; in den ersten
beiden Aprilwochen zunächst den Wirkstoff von Biontech/Pfizer,

Insgesamt wird für den Südwesten nach früheren Angaben des
Ministeriums unter Berufung auf vorläufige Lieferzahlen aus dem
Bundesgesundheitsministerium im Laufe des April mit knapp zwei
Millionen Dosen Impfstoff gerechnet. Bis Anfang Mai wären das mehr
als 1,2 Millionen Dosen des Herstellers Biontech/Pfizer, knapp 304
000 Dosen des Herstellers Moderna und fast 400 000 Dosen des
Herstellers Astrazeneca.

Wird die Hausarzt-Impfkampagne ausgebremst wegen der neuen
Alterseinschränkungen bei Astrazeneca?

Nein, alles bleibt wie geplant, so ein Sprecher des
Sozialministeriums. Ab Mitte April wird neben Biontech auch der
Wirkstoff des britisch-schwedischen Herstellers an die Praxen
ausgeliefert. Impfzentren bekommen dann nur noch für Zweitimpfungen
vorgesehene Dosen

Wie sehen die Hausärzte das ganze Thema?

Die freuen sich sehr - fühlen sich aber schon ein wenig düpiert, weil
sie als Impfexperten so lange außen vor blieben. «Impfen ist die
originäre Aufgabe des Hausarztes», sagt Nicola Buhlinger-Göpfarth.
Die Ärztin, die auch im Landesvorstand des Hausärzteverbandes ist,
impft in ihrer Pforzheimer Gemeinschaftspraxis schon seit 9. März im
Rahmen des Pilotprojektes. Es sei ein Fehler gewesen, die Praxen
nicht von Anfang an in die Impfkampagne mit einzubeziehen, betont
sie.

Dass die Praxen nun endlich impfen dürfen, findet sie sehr gut. «Die
Patienten sind glücklich und zufrieden, dass sie wohnortnah und von
einer vertrauten Person geimpft werden», sagt sie. «Ich freue mich
wie ein Kind», sagt auch ein Hausarzt aus Karlsruhe. Dass es endlich
losgehe, sei höchste Zeit - «ich weiß schließlich am besten, wer vo
n
meinen Patienten den Impfstoff am dringendsten braucht». So wie
andere Hausärzte auch habe er längst eine Liste gemacht mit den
Menschen, die er zuerst impfen will.

Wieviele könnten die Praxen denn impfen, wenn genug da wäre?

Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) hat sich mal
schlau gemacht und eine Umfrage gestartet. Unter den rund 15 000
Praxen im Südwesten seien zwar viele Facharztpraxen, die nicht impfen
werden. Einige tausend aber hätten sich auf die Umfrage sofort
gemeldet und erklärt, dass sie mindestens 85 000 Dosen täglich an den
Mann/die Frau bringen könnten - vorausgesetzt, es gebe genug
Impfstoff.

Wie hoch ist der Aufwand für die Praxen?

Gute Organisation ist alles, sagt Buhlinger-Göpfahrt. Die Praxen
seien es gewöhnt zu impfen. «Das machen wir mit links.» Bei den
Hausärzten würden jedes Jahr Millionen an Impfungen vorgenommen, «und

das geräuschlos, effizient und kostengünstig», sagt auch die KVBW.

Müssen auch die Hausärzte sich an die Priorisierung halten?

Ja - allerdings haben sie mehr Spielraum. Zu Beginn sollen nicht
mobile Menschen in ihrem Zuhause geimpft werden sowie Patienten mit
schweren Vorerkrankungen. Buhlinger-Göpfarth ist dafür, mit übrig
gebliebenen Impfdosen auch andere Patienten außerhalb der eigentlich
vorgesehenen Reihenfolge zu impfen.

Arbeiten parallel auch die Impfzentren weiter?

Ja. «Bis genug Impfstoff zur Verfügung steht, wird es sicherlich
einige Zeit lang Zwischenschritte und ein Nebeneinander von
Impfzentren und Impfungen in Arztpraxen geben», erklärt der Sprecher
des Sozialministeriums. In den Zentren könnten in kurzer Zeit sehr
viele Menschen geimpft werden. «Daher werden sie auch dann eine Rolle
spielen, wenn im Verlauf des zweiten Quartals mit deutlich mehr
Impfstoff zu rechnen sein wird.»

Wie hat sich das Pilotprojekt «Impfen in Praxen» bewährt?

Rund 40 Hausarztpraxen im Land beteiligten sich an dem am 9. März
gestarteten und auf sechs Wochen angelegten Projekt. Es war eine Art
Probelauf für das flächendeckende Impfen, das nun bevorsteht. «Die
Abläufe konnten gut in die vorhandenen Praxisstrukturen implementiert
werden», sagt ein Sprecher des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg.

Die Praxen wüssten zudem selbst, was gut zu ihrer individuellen
Praxisstruktur passt. Auch laut KVBW funktioniert das Impfen sehr
gut.

Wo gibt es Verbesserungsbedarf?

«Entbürokratisierung. Impfstoffmenge!!!», sagt der Hausärzteverband
.
Das Sozialministerium verweist darauf, dass die Fragebögen, die für
eine Evaluierung an die am Modellprojekt teilnehmenden Praxen
ausgegeben wurden, noch nicht ausgewertet seien. «Ich bin mir sicher,
dass Baden-Württemberg für die Impfungen in Hausarztpraxen gut
vorbereitet ist. Jetzt brauchen wir vor allem mehr Impfstoff», sagte
Sozialminister Manne Lucha (Grüne).