ProSieben zeigt in Primetime die Schicht einer Pflegekraft Von Gregor Tholl, dpa

Joko und Klaas haben wieder Sendezeit erspielt und sie diesmal
genutzt, um stundenlang auf den Pflegenotstand hinzuweisen. Auch von
Konkurrent RTL und Vizekanzler Scholz gibt es Lob für ProSieben. Arte
sieht «ein Stück deutsche TV-Geschichte».

Münster/Unterföhring/Berlin (dpa) - Unter dem Motto «Nicht
selbstverständlich» hat der Privatsender ProSieben bis in den frühen

Donnerstagmorgen sein Programm freigeräumt, um werbefrei den Alltag
einer Pflegekraft in Deutschland zu zeigen. Zahlreiche Frauen und
Männer aus Krankenhäusern und Altenheimen kamen außerdem zu Wort, um

auf die Probleme in der Pflege hinzuweisen. Begleitet wurde in
Echtzeit per kleiner Kamera eine ganze Schicht der gewissenhaften und
stets freundlichen Gesundheits- und Krankenpflegerin Meike Ista im
Knochenmark- und Transplantationszentrum der Uniklinik Münster.

Die Entertainer Joko Winterscheidt (42) und Klaas Heufer-Umlauf (37)
hatten mal wieder Sendezeit zur freien Verfügung erspielt und nutzten
sie diesmal, um auf den Pflegenotstand hinzuweisen.

Tausende twitterten am Abend und nachts zum Thema Pflege.

Selbst Konkurrenzsender RTL lobte: «Starke Aktion, ProSieben! Ein
beeindruckendes Zeichen für die Pflege!» RTLzwei twitterte: Standing
Ovations, ProSieben. Heute seid Ihr definitiv der Reality Sender Nr.
1. Ganz große Klasse und ganz großen Dank!»

Beim Twitter-Account von Arte hieß es: «Was da gerade bei ProSieben
passiert, dürfte ein Stück deutsche TV-Geschichte sein.»

Und der Medienjournalist Stefan Niggemeier schrieb: «Das, was da
gerade auf ProSieben läuft, ist nicht nur eine wichtige Aktion von
Joko und Klaas, sondern auch richtig gutes Fernsehen.»

ProSieben twitterte: «Bitte helft, dass aus diesem Abend eine große
Respektkundgebung wird, die etwas ändert.» Und Senderchef Daniel
Rosemann schrieb: «Wir sind heute Ort für eine Demo. Für eine Demo,
für die die Teilnehmer vor lauter Überstunden keine Zeit haben.»

Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz äußerte sich
ebenfalls: «Danke Joko und Klaas für diese Sendung! Und - man kann es
nicht oft genug sagen - Danke an alle Pflegerinnen und Pfleger! Ohne
sie geht nichts. Antwort auf diese Erkenntnis ist nicht, Beifall zu
klatschen. Respekt heißt: gute Löhne und Arbeitsbedingungen.» Unter
dem Tweet des Vizekanzlers sammelte sich einige Kritik.

Der in der Sendung vorkommende Krankenpfleger und Sozialdemokrat
Alexander Jorde twitterte: «Ich will keine Worte mehr, ich will
Taten. Die SPD ist Teil der Bundesregierung. Du bist Vizekanzler,
Olaf Scholz. Worauf warten wir? Wann, wenn nicht jetzt? Hört auf zu
reden. Handelt! Wir haben keine Zeit mehr.»

Um 20.15 Uhr hatte die «Joko & Klaas Live»-Sonderausgabe begonnen,
die mit etwa sieben Stunden viel länger dauerte als die üblichen 15
Minuten. Vor allem zu Beginn der Sendung wurden Stimmen und Köpfe von
Pflegekräften wie Alexander Jorde aus Hildesheim oder Franziska
Böhler aus Frankfurt/Main eingespielt, die auf die Not ihrer Branche
hinwiesen. Seit Jahrzehnten versäumten es Politik und Gesellschaft,
faire Bezahlung und gut machbare Arbeitsmengen zu organisieren.

Der Bielefelder Intensivpfleger Ralf Berning wies auf die andauernde
Überbelastung hin. Er kenne Leute, die 23 Tage am Stück arbeiteten,
das sei «völlig unmenschlich». Er sei lange Soldat gewesen und ginge

lieber wieder nach Afghanistan, als noch einmal so etwas Schlimmes zu
erleben wie während der zweiten Corona-Welle im Herbst.

Winterscheidt und Heufer-Umlauf behandeln in ihrer Sendung «Joko &
Klaas Live» immer wieder gesellschaftlich relevante Themen. Die
Sendezeit hatten sich die Moderatoren in der am Dienstag
ausgestrahlten Show «Joko & Klaas gegen ProSieben» erspielt, in der
sie in mehreren Wettkämpfen gegen ihren Arbeitgeber antreten.

Erstmals in der Geschichte der Show seit 2019 hatten die Entertainer
diesmal ProSieben gebeten, nach ihrem Sieg mehr Sendezeit als die
sonst übliche Viertelstunde zugestanden zu bekommen. Wie lange es
werden würde, blieb anfangs für TV-Zuschauer unklar.

«Sowas stellt nämlich in so'nem Sender ein bisschen was auf den Kopf
und widerspricht genau genommen jeder Regel des Fernsehens», leitete
Klaas die Sondersendung ein. Joko ergänzte: «Ein Thema, das uns alle
betrifft, mitten aus dem Leben, und dennoch zu oft ganz am Rand der
allgemeinen Wahrnehmung. Viele Themen im Leben bekommen erst dann den
Stellenwert, den sie verdient haben, wenn man die Gelegenheit
bekommt, sich in ein Leben hineinzuversetzen, das nicht zwangsläufig
das eigene ist.»