Impfkampagne wird nach neuen Astrazeneca-Vorgaben angepasst

Die Planungen für die Corona-Impfungen müssen erneut nachgesteuert
werden. Denn das Mittel von Astrazeneca kann nicht mehr so breit zum
Einsatz kommen. Lässt sich der Rückschlag trotzdem rasch ausbügeln?

Berlin (dpa) - Nach der neuen Altersbeschränkung für das Präparat von

Astrazeneca auf über 60-Jährige rücken die Konsequenzen für die
gesamten Corona-Impfungen in Deutschland in den Blick. Der Deutsche
Lehrerverband sprach von einem «katastrophalen Rückschlag für die
gerade Fahrt aufnehmende Impfung von Lehrkräften» und forderte eine
Umstellung auf andere Präparate. In den Ländern sind teils Änderungen

bei Liefer- und Terminplanungen nötig. Gesundheitspolitiker der
Koalition äußerten sich zuversichtlich für die weitere Impfkampagne.

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) kündigte für kommende Woche

erneute Beratungen über die Sicherheit des Astrazeneca-Mittels an.

Zugleich mehren sich aus der Wissenschaft nach ersten Lockerungen und
Test-Projekten Forderungen nach einem neuen harten Lockdown. Die
Situation in der dritten Pandemiewelle sei leider «sehr ernst und
sehr kompliziert», sagte der Charité-Virologe Christian Drosten im
NDR-Podcast «Coronavirus-Update». Für ihn bleibe nur noch der
«Holzhammer». Auch Amtsärzte fordern einen konsequenten Lockdown.

Die Regierungschefs von Bayern und Baden-Württemberg, Markus Söder
(CSU) und Winfried Kretschmann (Grüne), forderten in einem Brief an
die anderen 14 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten eine
strikte Anti-Corona-Politik mit einer konsequenten Umsetzung der
Notbremse in Hotspots, auch mit nächtlichen Ausgangsbeschränkungen.
Zudem plädierten sie für eine Corona-Testpflicht an den Schulen nach
den Osterferien.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warf
seinen beiden Kollegen daraufhin Effekthascherei vor. «Im Norden wird
gehandelt, im Süden werden Briefe geschrieben», sagte er in Kiel.
«Wir haben bereits regelmäßige Tests als Voraussetzung für die
Teilnahme am Präsenzunterricht für die Zeit nach den Ferien
eingeführt, die Herren Söder und Kretschmann wollen darüber reden.»


In Hamburg beschloss der Senat wegen hoher Infektionszahlen eine
nächtliche Ausgangsbeschränkung ab Karfreitag. Die Bürger sollen dann

zwischen 21.00 Uhr abends und 5.00 Uhr morgens zu Hause bleiben, wenn
sie keinen triftigen Grund haben, ihre Wohnung zu verlassen, sagte
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Mittwoch.

Angesichts der neuen Regeln für das Präparat von Astrazeneca
verlangte Lehrerverbands-Präsident Heinz-Peter Meidinger eine rasche
Möglichkeit für unter 60-jährige Lehrkräfte, sich mit Biontech/Pfiz
er
und demnächst mit Johnson & Johnson impfen lassen zu können. «Wenn
dieser Austausch nicht sofort stattfindet, wird es mit der
Durchimpfung von Lehrkräften im April nichts mehr werden», sagte er
der Deutschen Presse-Agentur. Dies gefährdete sonst zusätzlich zu
steigenden Infektionszahlen die Chancen, Schulen offen zu halten.
Momentan sind in den meisten Bundesländern Osterferien. Viele Schulen
sollen in der Woche nach Ostern oder eine Woche später wieder öffnen.

Bund und Länder hatten am Dienstagabend nach einer Empfehlung der
Ständigen Impfkommission (Stiko) beschlossen, Astrazeneca in der
Regel nur noch für Menschen ab 60 Jahre einzusetzen. Jüngere sollen
sich «nach ärztlichem Ermessen und bei individueller Risikoanalyse
nach sorgfältiger Aufklärung» weiterhin damit impfen lassen können.

Hintergrund sind Fälle von Blutgerinnseln (Thrombosen) in Hirnvenen.
Erst Mitte März waren Astrazeneca-Impfungen nach einer Impfpause von
einigen Tagen und neuen Überprüfungen wieder angelaufen.

Die Bundesregierung bat die Bürger um Verständnis, dass nun zunächst

einige Umorganisationen erforderlich seien. So müssten Lieferungen an
Impfzentren und dann auch Arztpraxen für die Zeit nach Ostern neu
austariert werden, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Die Länder können nun auch entscheiden, ob sie schon jetzt 60- bis
69-Jährige zu Impfungen mit Astrazeneca einladen. «Dies gibt die
Möglichkeit, diese besonders gefährdete und zahlenmäßig große
Altersgruppe angesichts der wachsenden 3. Welle nun schneller zu
impfen», heißt es im Beschluss der Gesundheitsminister von Bund und
Ländern. Derzeit laufen generell Impfungen in den ersten beiden
Prioritätsgruppen, zu denen Menschen ab 70 Jahre gehören. In
Nordrhein-Westfalen können Menschen ab 60 von diesem Samstag an
Termine für Impfungen mit Astrazeneca buchen, wie Gesundheitsminister
Karl-Josef Laumann (CDU) ankündigte.

Die CDU-Gesundheitspolitikerin Karin Maag nannte die neuen Vorgaben
eine «angemessene Reaktion» auf die Auffälligkeiten. «Auf dieser
Grundlage kann die Impfkampagne gut und sicher weitergeführt werden.»
Der SPD-Experte Karl Lauterbach sagte am Dienstagabend in der ARD:
«Wir werden eine kleine Delle haben von ein paar Tagen, wo es
Verwirrung gibt, aber dann wird das Impftempo wieder voll anziehen.»
Generell überwiege bei über 60-Jährigen der Nutzen mögliche Risiken
.
«Es ist ein sehr guter Impfstoff, den ich weiter empfehlen kann.»

Der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens sagte den Zeitungen der Funke
Mediengruppe, die Kontrollfunktion des Paul-Ehrlich-Instituts habe
gut funktioniert. Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich
Montgomery, bezeichnete die Entscheidung gegenüber dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland als klug.

Bei der EU-Arzneimittelbehörde EMA ist eine Expertengruppe am Montag
bereits zusammenkommen. Über ihren Bericht und weitere Analysen soll
beim Treffen des Sicherheitsausschusses der EMA vom 6. bis 9. April
beraten werden. Dieser hatte zuletzt bekräftigt, dass der Impfstoff
«sicher und wirksam» sei, und es keine Hinweise auf ein erhöhtes
Risiko für Blutgerinnsel gebe. Die EMA rät auch vorerst nicht zu
Einschränkungen bei der Anwendung des Astrazeneca-Impfstoffs. «Nach
dem jetzigen wissenschaftlichen Stand gibt es keine Belege, die dafür
sprechen, die Verwendung dieses Impfstoffs in irgendeiner
Bevölkerungsgruppe zu beschränken», sagte EMA-Chefin Emer Cooke am
Mittwoch. Neue Hinweise auf Blutgerinnsel würden überprüft.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bekräftigte am Dienstagabend das Ziel,
bis zum Ende des Sommers allen Bürgern ein Impfangebot zu machen.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach von einem «Rückschlag»,
rief aber zugleich alle 60-Jährigen auf, «dieses Impfangebot auch
wahrzunehmen». Der Impfstoff sei sehr wirksam, gerade bei Älteren.