Kranke Kois und Strauße - Neues Gesetz schürt Sorgen von Tierärzten Von Marco Krefting, dpa

Wenn der Postmann zweimal klingelt, kann das für die Halter kranker
Tiere ein gutes Zeichen sein: Fachtierärzte verschicken häufig
Arzneimittel - gerade für exotischere Arten. Doch damit soll bald
Schluss sein. Über ein neues Gesetz und seine möglichen Folgen.

Neuenbürg/Leipzig/Berlin (dpa) - Es klingt dramatisch: Millionen von
Zierfischen könnten sterben, weil sie bei Parasitenbefall nicht mehr
richtig behandelt werden können. Das widerspreche jedem
Tierschutzgedanken, schrieben die Fischtierärztin Sandra Lechleiter
aus Baden und Kollegen vor einigen Tagen an die Bundesregierung.
Hintergrund ist eine geplante Gesetzesreform, die den Versand
verschreibungspflichtiger Tierarzneimittel verhindern soll.

Gerade auf den sind die Fachtierärzte - vor allem aber auch die Tiere
selbst und ihre Halter - angewiesen. Nach Einschätzung von Prof.
Michael Pees von der Uni Leipzig, Leiter der Fachgruppe Zier-, Zoo-
und Wildvögel, Reptilien, Amphibien und Fische der Deutschen
Veterinärmedizinischen Gesellschaft, betrifft das Problem all jene
eher exotischen Spezies. «Dabei muss man sich vor Augen führen, dass
von jeder dieser Gruppen mehrere Millionen Tiere in deutschen
Haushalten gehalten werden.»

Nach Zahlen des Industrieverbands Heimtierbedarf lebte im vergangenen
Jahr in fast der Hälfte aller Haushalte in Deutschland mindestens ein
Heimtier. Die Lieblinge sind Katzen und Hunde. Doch der Verband kommt
auch auf 3,5 Millionen Ziervögel wie Sittiche, Kanarienvögel und
Kleinpapageien, 1,8 Millionen Aquarien, 1,4 Millionen Gartenteiche
mit Zierfischen wie Kois und 1,3 Millionen Terrarien.

Und naturgemäß verteilen die sich von Nord nach Süd, von West nach
Ost flächendeckend über das Land, wohingegen gerade die Experten
unter den Veterinärmedizinern selbst eine seltene Spezies sind, wie
Lechleiter erklärt. Neben ihrer Praxis in Neuenbürg bei Pforzheim gab
es laut Bundesärztekammer zuletzt nur gut zwei Dutzend aktive
Fischtierärzte - und nicht alle davon sind für Zierfische zuständig.


Das führt zu weiten Wegen: Das Einzugsgebiet der Vogelklinik, an der
Pees arbeitet, betrage etwa 500 Kilometer. «Das besondere Problem
wird dann noch verschärft, wenn es sich eben um Tiere handelt, die
man nur sehr schlecht oder nicht tierschutzgerecht zu uns
transportieren kann, so dass der Tierarzt eben zu den Kunden fahren
muss.» Als Beispiele nennt er Zierfische, Strauße und Zootiere.

In der Praxis heißt das dann oft: Tierärzte fahren zu den Patienten,
nehmen Proben, lassen diese im Labor untersuchen - und schicken dem
Halter passende Medikamente. Das trage auch zur Minimierung des
Antibiotikaeinsatzes bei, heißt es in dem Brief, der der Deutschen
Presse-Agentur vorliegt. Mitunterzeichner Pees macht deutlich: Der
Wegfall dieser Möglichkeit würde für viele Kunden bedeuten, dass sie

300 Kilometer zur Klinik zurücklegen müssten, um ein Medikament im
Wert von wenigen Euro zu bekommen - «was ein unsinniger Zeit- und
Finanzaufwand ist und sicher auch die Umwelt massiv belastet».

Andere Optionen gibt es nach seinen Angaben nicht: Tierärzte vor Ort
hätten nicht die Medikamente und dürften sie ohne Untersuchung auch
nicht abgeben. Und Apotheken seien nicht bereit oder in der Lage, auf
Rezept entsprechende Medikamente abzupacken und abzugeben.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium erklärt, mit dem am 24. März vom
Kabinett beschlossenen Entwurf würden EU-Vorschriften umgesetzt. «Wir
garantieren höchste Qualitätsstandards und Sicherheit für
Tierarzneimittel. Damit stärken wir die Tiergesundheit und den
Tierschutz», kommentierte Ministerin Julia Klöckner (CDU).

Gemäß der EU-Verordnung soll ab 28. Januar 2022 der Versandhandel für

verschreibungspflichtige Tierarzneimittel untersagt werden. «Grund
hierfür ist die Problematik des verbreiteten illegalen Verkaufs von
Tierarzneimitteln im Internethandel, der eine Bedrohung für die
Gesundheit von Mensch und Tier darstellt», erläutert eine Sprecherin.

Deutschland habe sich gegen eine nationale Sonderregel - was die
EU-Verordnung ermöglichen würde - entschieden, weil diese mit hohem
bürokratischen Aufwand verbunden wäre. Sofern im weiteren Verlauf des
Gesetzgebungsverfahrens aber ein geeigneter Ansatzpunkt erkennbar
werden sollte, wie die Anforderungen des EU-Rechts in Bezug auf
sichere Strukturen umgesetzt werden können, werde das Ministerium die
Möglichkeit einer Sonderregelung erneut prüfen, so die Sprecherin.

Pees sagt: «Zu einem missbräuchlichen Versand von Medikamenten durch
Tierärzte an Exoten-/Fischhalter ist mir aus den letzten 20 Jahren
überhaupt nichts bekannt.» Zumal falscher Einsatz auch bei direkter
Abgabe möglich wäre. Allerdings ließen die Tierärzte nicht wahllos

Medikamente da, sondern diagnostizierten erst die genaue Erkrankung.

Die Politik schaue auf die «großen» Tiergruppen - Hund, Katze, Rind,

Schwein und Pferd -, aber nicht auf die zahlenmäßig sogar größeren,

im Umsatz jedoch geringerwertigen anderen Tiergruppen, kritisiert
Pees. Sein Vorschlag: «Der Gesetzgeber sollte eine Unterscheidung
machen zwischen einem Versandhandel, der Medikamente verschickt, ohne
ein Tier untersucht zu haben, und dem gezielten Zusenden eines
Medikaments nach erfolgter Diagnostik durch den Tierarzt.»

Doch der Versand ist nicht der einzige Knackpunkt bei der Reform. Die
Arbeitsgemeinschaft für Amphibien- und Reptilienkrankheiten etwa
fürchtet mit der Gesetzesänderung unter anderem, dass die Veterinäre

nicht mehr Arzneimittel verdünnen dürften. Damit wäre «die Versorgu
ng
unserer kleinsten Patienten von wenigen Gramm Körpermasse gefährdet».

Auch könnte ein Verbot für bestimmte Antibiotika die Behandlung von
gerade bei Reptilien auftretenden Bakterien erschweren.