Uni-Kliniken wollen Impfstopp mit Astrazeneca für jüngere Frauen

Ein neuer Paukenschlag in der Debatte um den Impfstoff von
Astrazeneca: Fünf von sechs Unikliniken in NRW sprechen sich
gemeinsam dafür aus, Impfungen jüngerer Frauen mit dem Vakzin vorerst
zu stoppen. Sie stellen dafür eine einfache Rechnung auf.

Düsseldorf (dpa/lnw) - Die Leiter von fünf der sechs Uni-Kliniken in
Nordrhein-Westfalen sprechen sich in einem gemeinsamen Brief an den
Bundes- und Landesgesundheitsminister für den vorläufigen Stopp von
Impfungen jüngerer Frauen mit dem Wirkstoff von Astrazeneca aus. Das
Risiko von weiteren Todesfällen sei zu hoch, heißt es in dem
Schreiben, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

In dem zweiseitigen Schreiben, das von den Ärztlichen Direktoren der
fünf Kliniken unterzeichnet wurde, wird Bezug auf die bislang
bekannten Verdachtsfälle von Thrombosen nach Astrazeneca-Impfungen
genommen. Die Experten stellen dann die Todesfälle durch Covid-19 bei
20- bis 29-jährigen Frauen den potenziellen lebensbedrohlichen
Impfkomplikationen in der gleichen Altersgruppe gegenüber.

Demnach würden - bei gleich bleibendem Infektionsgeschehen und
Impfungen jenseits von Astrazeneca - statistisch zehn Frauen zwischen
20 und 29 an Corona sterben. Bei 75 könnte aber theoretisch eine
lebensbedrohliche Impfkomplikation auftreten, so die Rechnung der
Klinik-Chefs.

«Zusammenfassend muss man feststellen, dass am Beispiel der Gruppe
der 20- bis 29-jährigen Frauen nach jetzigem Erkenntnisstand ein
äußerst ungünstiges Nutzen/Risiko-Profil für den Einsatz des
Astrazeneca-Impfstoffes vorliegt», so die Uniklinik-Chefs in ihrem
Brief. «Im Lichte dieser Überlegungen erscheint uns der Einsatz des
Astrazeneca-Impfstoffs bei jüngeren Frauen gegenwärtig nicht
gerechtfertigt», schreiben die Experten. Es bestehe daher «dringender
Bedarf», eine neue Impfempfehlung abzuleiten.

Bis zum Nachmittag wollten die Uni-Kliniken nach dpa-Informationen
dem Landes-Gesundheitsministerium eine entsprechende Empfehlung
vorlegen. Hintergrund ist eine Sondersitzung der Gesundheitsminister
von Bund und Ländern, die sich laut Berlins Gesundheitssenatorin
Dilek Kalayci (SPD) am Dienstagabend zum Thema Astrazeneca
zusammenschalten wollen. Das Land Berlin hatte bereits am Mittag
Corona-Impfungen mit dem Vakzin für Menschen unter 60 Jahren
vorsorglich komplett ausgesetzt.

In NRW empfahl die Uni-Klinik Köln ihren weiblichen Angestellten
unter 55 Jahren im Impfberatungsgespräch, «zumeist keine Impfung mit
dem Astrazeneca-Impfstoff», so ein Sprecher. Er bestätigte einen
Bericht der «Bild»-Zeitung.

«Wir enthalten niemanden den Impfstoff vor, der ihn auch nach
entsprechender Aufklärung ausdrücklich wünscht», ergänzte der
Sprecher. «Insgesamt sind wir sowohl ethisch als auch juristisch
verpflichtet, wie bei jeder anderen ärztlichen Maßnahme auch, nach
bestem Wissen und Gewissen auf dem neuesten Stand der Erkenntnisse
aufzuklären und eine individuelle Impfempfehlung auszusprechen.»

Die Uni-Klinik Essen stoppte Astrazeneca-Impfungen von Frauen unter
55 Jahren am Dienstag komplett. Ebenso das Impfzentrum der Stadt.
Auch im Kreis Heinsberg und im Rheinisch-Bergischen Kreis wartete man
nicht auf eine bundesweite Entscheidung und reagierte entsprechend.
Im Laufe des Tages folgten unter anderem der Kreis Gütersloh und die
Stadt Köln, wie zunächst «Radio Köln» und der «Kölner Stadt-A
nzeiger»
berichteten. Für die Sonderöffnung des Impfzentrums am Ostersonntag,
bei der fast 5000 Menschen Astrazeneca-Impfungen erfolgen sollten,
habe das Gesundheitsministerium der Stadt Köln einen alternativen
Impfstoff zugesagt, hieß es.

Die Uni-Klinik Aachen hatte sich am Dienstag dem Brief der anderen
landeseigenen Krankenhäuser unterdessen nicht angeschlossen. Warum,
blieb zunächst unklar - die Antwort auf eine entsprechende
dpa-Anfrage stand zunächst noch aus. Allgemein teilte die Uniklinik
Aachen mit, dass für den Einsatz der Impfstoffe die Städteregion
Aachen zuständig sei. Dort folge man der Empfehlung des
Landes-Gesundheitsministeriums und empfehle keine Stopps, bevor nicht
die Ständige Impfkommission oder das Paul-Ehrlich-Institut anders
entschieden.

Hintergrund der aktuellen Debatte ist unter anderem ein Fall aus dem
Kreis Euskirchen. Dort hatte eine 47 Jahre alte Frau laut dem Kreis
wenige Tage nach der Impfung eine Sinusvenenthrombose erlitten und
war gestorben. Auch eine 28 Jahre alte Frau war nach Angaben des
Kreises nach der Impfung an einer solchen Thrombose erkrankt. Sie
befindet sich demnach «in einem stabilen Zustand und wird in einer
Spezialklinik versorgt».

Der Kreis bestätigte am Dienstag, dass die 28-Jährige in Bonn wohnt,
aber im Kreisgebiet arbeitet und dort geimpft wurde. Der Kreis hatte
daraufhin bereits am Montag die Impfung von Frauen unter 55 Jahren
mit dem Vakzin von Astrazeneca gestoppt.

Im Universitätsklinikum Essen war am vergangenen Mittwoch ein 36
Jahre alter Mann gestorben, der zuvor im Kreis Kleve mit Astrazeneca
geimpft worden war. Er war mehrere Tage nach der Impfung ins
Uniklinikum Essen gebracht worden. Dort sei er «an den Folgen
thromboembolischer Komplikationen» gestorben, erklärte die Klinik.
Ein Zusammenhang zur vorausgegangenen Impfung mit Astrazeneca sei
möglich. Der Tote sei obduziert worden, die Ergebnisse lägen aber
noch nicht vor, sagte ein Kliniksprecher am Dienstag. Das
Paul-Ehrlich-Institut sei über den Verdacht einer Impfkomplikation
umgehend informiert worden.

Deutschland - und zahlreiche andere Staaten - hatten die Impfung mit
dem Astrazeneca-Stoff im März vorübergehend ausgesetzt, weil mehrere
Fälle mit Thrombosen (Blutgerinnseln) in den Hirnvenen in zeitlichem
Zusammenhang zur Impfung gemeldet wurden. Mittlerweile wird der
Impfstoff wieder verabreicht. Die Europäische Arzneimittel-Agentur
Ema hatte die Sicherheit des Vakzins bekräftigt, auch die Ständige
Impfkommission in Deutschland hatte sich für eine weiteren Einsatz
den Mittels ausgesprochen.