Konkreter, lokaler, positiver: Neue Motivation für den Corona-Kampf Von Sandra Trauner, dpa

Häufig neue Regeln, immer die gleichen Appelle: Nach einem Jahr mit
Corona ist die Luft bei vielen Menschen raus. Die Politik dringt
zunehmend schlechter zu ihnen durch. Was könnte helfen?

Frankfurt/Marburg/Bad Homburg (dpa) - Erst Osterruhe, dann doch
nicht. Die einen starten Modellprojekte, die anderen wollen einen
dritten Lockdown. Mal darf man mehrere Leute gleichzeitig treffen,
mal nicht. Ständig gibt es gefühlt neue Regeln in der Corona-Pandemie
- und die immergleichen Appelle. Das kann dazu führen, dass die
Politik viele Menschen verliert, die es dann im Privaten nicht mehr
ganz so genau nehmen. Dabei haben Psychologen, Sportler und
Motivationstrainer durchaus Ideen, wie man die Bevölkerung zurück an
die Stange bringt.

Seit einem Jahr hören die Menschen die gleichen Botschaften: Abstand
halten, Hände waschen, Maske tragen. «Die AHA-Regel ist zu abstrakt»,

sagt der Marburger Sozialpsychologe Ulrich Wagner. «Wir brauchen
präzisere Anweisungen.» Niemand könne monatelang in jeder Situation
Abstand halten. Besser funktionieren würden Wagner zufolge gezielte
Warnungen vor besonders gefährlichen Situationen - und zwar mit
möglichst konkreten Beispielen, etwa wenn Kollegen in Innenräumen die
Maske abnehmen, um eine Zigarette zusammen zu rauchen.

Wagner denkt an so etwas wie «Der 7. Sinn», eine Sendung zur
Verkehrserziehung, die jahrzehntelang im Fernsehen lief. «Das war
schlecht gemacht und jeder hat es gehasst, aber es hat funktioniert»,
sagt Wagner. Reale Szenen mit realen Menschen, die zeigen, wie man
sich in konkreten Situationen richtig verhält - das würde helfen,
glaubt Wagner, «sowas brauchen wir auf allen Kanälen».

«Ich glaube, es fehlt das Positive», sagt Führungskräfte-Coach
Kirsten Dierolf. Die Bad Homburgerin ist Präsidentin der
International Coaching Federation. «Man hört viel Warnungen, viel
Negatives, viel «Nicht».» Um Menschen für längere Zeit zu motivie
ren,
müsse man Zwischenziele setzen und ein positives Feedback geben -
beides sei bisher nicht geschehen.

Auch Dierolf rät zum Blick auf den Straßenverkehr. Die erfolgreichste
Methode, damit Menschen sich an ein Tempolimit halten, seien Smileys
auf einer blinkenden Tafel. Auf die Pandemie ist das nur bedingt
übertragbar, aber Dierolf geht es um die Blickrichtung: Statt aufs
Negative zu schauen, sollte man die Erfolge herausstellen und dann
mit einer Belohnung locken. Das könnte die Menschen motivieren, noch
ein wenig durchzuhalten.

«Die Menschen bemühen sich ja, aber sie sehen die Erfolge nicht»,
sagt auch Sozialpsychologe Wagner. Aus der Lerntheorie wisse man,
dass die Menschen um so besser zu motivieren sind, je unmittelbarer
sie die Wirkung ihres Handelns erkennen. Er schlägt vor, die
Corona-Auflagen zu lokalisieren: die Beschränkungen an die Situation
in den Landkreisen koppeln mit der Aussicht auf Lockerungen, wenn
sich alle an die Regeln halten. «Damit könnte man die Erfolge des
eigenen Verhaltens sehen».

Ein weiteres Problem sieht Wagner im Absender der Botschaften. Die
Politik agiere derzeit wenig glaubwürdig. Das Hin und Her um die
Osterruhe, die unterschiedlichen Herangehensweisen der
Ministerpräsidenten - «man hat den Eindruck, die politisch
Verantwortlichen verfallen in eine Handlungsstarre». Gleichzeitig
werde alle Verantwortung für das Pandemie-Geschehen auf den Einzelnen
geschoben, «die Menschen empfinden das oft als Beleidigung, wenn sie
sich jetzt schon so lange an die Regeln gehalten haben.»

In Frankfurt am Main versucht die Sportjugend, junge Menschen direkt
anzusprechen. Der Hafenpark hat sich zum Treffpunkt für Jugendliche
entwickelt, sie sitzen zusammen, trinken, tanzen - und vergessen
dabei nicht selten die Corona-Regeln. Anfang März eskalierte die
Situation, die Polizei räumte den Park. 20 Übungsleiter der
Sportjugend mischen sich nun an den Wochenenden als «Botschafter»
unter die Menge, um die Jugendlichen zu sensibilisieren.

«Das funktioniert nur auf Augenhöhe», sagt die Vorsitzende der
Sportjugend, Petra Preßler, «nicht mit erhobenem Zeigefinger». Im Ton

freundlich aber bestimmt, diplomatisch, mit Empathie - so komme man
an die Partygäste ran, «nicht wenn ich sage: «Du musst».» Bei ein
em
Testlauf hatten die Botschafter alle Hände voll zu tun, aber keinen
Stress, erzählt Preßler: «Die Leute haben Verständnis für die
Maßnahmen, wenn man sie richtig kommuniziert.»

Die Initiative «No-Covid» ist für ihren eher restriktiven Ansatz
bekannt. Aber auch hier heißt es: «Wesentlich ist eine Kommunikation,
die die Bevölkerung mitnimmt.» Die Ziele der Maßnahmen müssten klar

formuliert sein, man müsse «nachvollziehbare zeitliche Horizonte
aufzeigen und Voraussetzungen für Öffnungen benennen». Die
Verhaltensregeln müssten «konsistent und begründbar» sein, die
Bevölkerung brauche «klare Empfehlungen».