Friedlicher Protest gegen Corona-Maßnahmen - Viel Polizei Von Oliver Pietschmann und Boris Roessler und Frank Rumpenhorst , dpa

Es waren deutlich mehr Polizisten als Gegner der Corona-Maßnahmen: In
Darmstadt sollten sich die Bilder von Kassel eine Woche zuvor nicht
wiederholen. Die Einsatzkräfte wiesen an einer Kundgebung immer
wieder per Lautsprecher auf Maskenpflicht und Abstandsregeln hin.

Darmstadt (dpa/lhe) - Die Sorge war eine Woche nach der Demonstration
gegen Corona-Auflagen in Kassel mit gewalttätigen
Auseinandersetzungen groß. Hunderte Polizisten sollten am Sonntag in
Darmstadt Bilder wie in Nordhessen eine Woche zuvor verhindern. Bis
zu 1500 Gegner der Corona-Maßnahmen waren erwartet worden, rund 400
folgten dem Aufruf und versammelten sich am Rande der Stadt. Rund 600
Menschen demonstrierten gegen die Aktion.

Alle Veranstaltungen seien «aus polizeilicher Sicht ohne nennenswerte
Vorkommnisse» verlaufen, hieß es am Abend seitens der Polizei. Bei
mehreren Personen sei «wegen kleinerer Verstöße» wie Nötigung,
Beleidigungen, Sachbeschädigungen und illegalen Substanzen die
Identität festgestellt worden, unter anderem auch von einer Person,
«die einem Pressevertreter die Kamera aus der Hand schlug».

Die Einsatzkräfte kontrollierten die Masken- und Abstandspflicht.
Mehrfach riefen sie während der Kundgebung mit Lautsprechern dazu
auf, die Auflagen zu erfüllen. Mehrere Demonstranten wurden wegen
Nichteinhaltung der Auflagen abgeführt: Sieben Menschen seien der
Kundgebung verwiesen und angezeigt worden, sechs weitere Teilnehmer
sowie ein Redner nicht hineingelassen worden, bilanzierte die Polizei
am Abend. Viele Gegner der Corona-Maßnahmen setzten ihre Masken
direkt nach der Eingangskontrolle wieder ab. Dutzende legten Atteste
vor, die sie vom Tragen einer Mund-Nasen-Maske befreite. Die Polizei
meldete am Abend eine Anzeige wegen Urkundenfälschung.

«Endlich mal wieder Schnitzel essen gehen» oder «Ich fürchte mich
nicht vor Corona aber ich habe Angst vor korrupten
Regierungspolitikern» war auf Plakaten zu lesen. Die Menschen tanzten
auf dem Parkplatz des Merck-Stadions und beklatschen Kritik am Impfen
und an der Maskenpflicht. «Impfen ist gefährlich, nicht impfen
lassen», sagte ein Redner. Die Organisation Querdenken 615 hatte zu
dem Protest aufgerufen

Nach Angaben der Polizei sicherte eine hohe dreistellige Zahl von
Beamten des Polizeipräsidiums Südhessens, der Bereitschaftspolizei
und der Bundespolizei die Demonstrationen. Schon auf den
Zufahrtswegen in die Stadt wurde kontrolliert.

In Kassel hatten mehr als 20 000 Menschen demonstriert - erlaubt
waren nur 6000. Viele Teilnehmer hielten sich nicht an Auflagen wie
das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Insgesamt gab es mehrere
Kundgebungen, auch von Gegendemonstranten. Kritiker hatten der
Polizei ein zu zurückhaltendes Auftreten bei der Demo der
Corona-Maßnahmen-Gegner vorgeworfen.

Innenminister Peter Beuth (CDU) verteidigte in der vergangenen Woche
im Innenausschuss des Landtages den Einsatz.

Ein generelles Verbot der Demonstration in Darmstadt war der Stadt
zufolge nach rechtlicher Prüfung nicht möglich. Der Protest war
zunächst für die Innenstadt in unmittelbarer Nähe des Impfzentrums
angemeldet, dann aber in den Südosten der Stadt verlegt worden.

Bei solchen Protesten gegen Corona-Maßnahmen will die Polizei immer
mit einem massiven Kräfteaufgebot arbeiten. «Das wird eine
Daueraufgabe für uns werden», sagte Hessens Vize-Chef der
Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jens Mohrherr, der Deutschen
Presse-Agentur. Menschen, die gegen die staatlichen Maßnahmen seien,
würden immer wieder in solche Aktionen einsickern und versuchen, sich
ein Gesicht zu verschaffen.

Nach Einschätzung von Reiner Becker, Leiter des Demokratiezentrums
Hessen an der Uni Marburg, gehören zu den demonstrierenden Kritikern
der Corona-Maßnahmen unterschiedliche Gruppen oder Kreise. «Ich würde

grundsätzlich auch mit Blick auf Kassel sagen, dass es eine
heterogene Gruppe ist. Dass es auch wenig hilfreich ist, eine solch
heterogene Gruppe jetzt gleich zu homogenisieren und zum Beispiel zu
sagen: Das sind alles Verschwörungsideologen oder Alu-Hüte oder sonst
etwas. Wobei diese dort natürlich auch auftauchen.»

Aus der Sozial- oder Politikwissenschaft wisse man zur Entstehung
neuer sozialer Bewegungen: «Es gibt große Themen, die die Menschen
bewegen - und das ist im Moment ja wirklich die Pandemie. Und es gibt
Menschen, die Einwände haben und dann zusammenkommen. Das heißt: Das
große Leitthema bindet sehr heterogene Gruppen. Und wo sie sich dann
hin entwickeln, das bleibt abzuwarten.» Ob sich eine solche Gruppe
oder Teile der Gruppe mit einer neuen politischen Agenda sozusagen
radikalisiere oder auch nicht - das müsse man beobachten.

Besorgniserregend sei gleichzeitig, dass die Hemmschwelle,
beispielsweise antisemitische Symbole zu verwenden, «sehr gesunken
ist oder dass auch in diesen Kreisen unverhohlen die Systemfrage
gestellt wird».