Lauterbach fordert scharfen Lockdown - Spahn beantwortet Bürgerfragen

Mehrere Bundesländer wollen in Modellregionen Maßnahmen lockern -
trotz der stark steigenden Corona-Zahlen. Die Kritik daran wird
lauter, auch Gesundheitsminister Spahn wird sich bei einer
Bürgerdiskussion wohl dazu äußern müssen.

Berlin (dpa) - Zu wenig Impfstoff, zu wenig Schnelltests - die Kritik
am Corona-Management von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
ist in den vergangenen Wochen immer lauter geworden. Am
Samstagnachmittag (14.00 Uhr) stellt sich Spahn via Internet den
Fragen von Bürgern und Bürgerinnen zur Impfsituation, Schnelltests
und anderen Themen rund um das Virus.

Der Livestream wird auf der Seite www.zusammengegencorona.de
übertragen. Befragt werden können neben Spahn auch der Chef des
Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, der Präsident des für
Impfstoffe zuständigen Paul Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, der
Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel, Karl Broich sowie der
Chef der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte angesichts stark
steigender Neuinfektionszahlen zeitnah erneute Corona-Beratungen.
«Wir müssen rasch nochmal neu verhandeln», sagte Lauterbach dem
«Tagesspiegel» (Samstag). «Ohne einen scharfen Lockdown wird es nicht

gehen», betonte er und verteidigte seine Forderung nach bundesweiten
Ausgangssperren. «Ausgangsbeschränkungen ab 20 Uhr für zwei Wochen
würden wirken - wir haben es in Frankreich, Großbritannien und
Portugal gesehen.»

«Es wird allgemein im politischen Berlin zu wenig über die Gefahren
gesprochen», kritisierte Lauterbach. «Es wird viel zu wenig über die

Stärke der dritten Welle gesprochen, welche Altersgruppen das
betrifft und wie gefährlich die Mutationen für die mittleren
Altersgruppen sind.»

Unterstützung bei seiner Forderung erhält Lauterbach von Christian
Karagiannidis, Präsident der Intensivmediziner-Gesellschaft DGIIN.
Auch er fordert angesichts der stark steigenden Infektionszahlen
einen harten zweiwöchigen Lockdown und sofortigen Stopp aller
geplanten Öffnungsschritte. «Die Beschlüsse für Modellprojekte nach

Ostern sind völlig unpassend und müssen von Bund und Ländern sofort
zurückgenommen werden», sagte Karagiannidis, der auch
wissenschaftlicher Leiter des Divi-Intensivregisters ist, der
«Rheinischen Post» (Samstag).

Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete am Samstagmorgen eine
Sieben-Tage-Inzidenz von 124,9. Damit ist der Wert so hoch wie seit
dem 19. Januar (131,5) nicht mehr. Am Freitag hatte das RKI die
Inzidenz noch mit 119,1 angegeben, vor zwei Wochen lag sie bei 76,1.
Die Sieben-Tage-Inzidenz gibt die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner und Woche an und ist eine wichtige Kennzahl zum
Pandemieverlauf. Zudem meldeten die Gesundheitsämter in Deutschland
dem RKI im Laufe des Freitags 20 472 neue Corona-Infektionen. Darüber
hinaus wurden innerhalb von 24 Stunden 157 neue Todesfälle
verzeichnet. Vor genau einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages
16 033 Neuinfektionen und 207 neue Todesfälle verzeichnet.

Trotz der seit längerem steigenden Zahlen hatten Bund und Länder auf
der Ministerpräsidentenkonferenz zu Beginn der Woche beschlossen,
dass die Länder in «ausgewählten Regionen» in «zeitlich befristet
en
Modellprojekten» einzelne Bereiche des öffentlichen Lebens testweise
öffnen dürfen, «mit strengen Schutzmaßnahmen und einem Testkonzept
».
Mehrere Länder haben angekündigt, gleich mehrere Modellregionen
entsprechend zu öffnen. Das Saarland will nach Ostern sogar das ganze
Land öffnen - bisher auch ohne eine Befristung.

An der Sicherheit der vielbeschworenen Schnelltests gibt es
inzwischen aber Zweifel. «Antigentests sind bei weitem nicht so
sicher, wie man glaubt», sagte Lauterbach den Zeitungen der
Funke-Mediengruppe. Studien zeigten: «Wenn jemand wirklich
asymptomatisch ist, schlägt der Schnelltest in sechs von zehn
positiven Fällen an. In vier von zehn Fällen ist der Test negativ.»

Der Virologe Jan Felix Drexler von der Berliner Charité mahnte Nutzer
von Antigen-Schnelltests, die vorgeschriebenen Lager- und
Umgebungstemperaturen bei der Test-Durchführung einzuhalten. «Selbst
zehn Minuten bei 37 Grad reichen aus, damit sie an Sensitivität, also
an der Frage, wie viel Virus sie nachweisen können, deutlich
verlieren», sagte der Virologe RTL/ntv. Das habe eine Charité-Studie,
die Drexler geleitet hat, bewiesen. Besonders an heißen Sommertagen
müsse man die Temperaturangaben auf den Beipackzetteln beachten, so
Drexler. Andernfalls riskiere man Ansteckungsketten, die hätten
verhindert werden können.

Inzwischen sprechen sich auch wieder mehr Menschen für eine
Verschärfung als eine Lockerung der Maßnahmen aus, wie das
ZDF-Politbarometer ergab. Mehr als ein Drittel (36 Prozent) will sie
verschärfen, knapp ein Drittel (31 Prozent) beibehalten und ein
Viertel (26 Prozent) lockern.